Samstag, 24. Februar 2018

ain't got no cigarettes

Ausgewogenes Training

Dans les épreuves cruciales, la cigarette nous est d’une aide plus efficace que les Évangiles. Ob Cioran nun recht hat mit dieser Einschätzung oder nicht, wir kennen den Dichter in seinem wahren Leben von zahlreichen Photos als Vertrauten der Zigarette, Photos, die ihn beim Blättern im Neuen oder, ersatzweise, im Alten Testament zeigen, gibt es nicht. Unter der Tür seines Arbeitszimmers würde der Rauch hervorquellen, verrät er in einer wohl leicht hyperbolischen Wendung, in der Tat aber könnte das Schreiben den Charakter einer dauerhaften schweren Prüfung haben, er deutet das wiederholt an. Wir müssen unterstellen, daß auch der in mancher wenn nicht in jeder Hinsicht dem Dichter eng verwandte Erzähler die Wohltat der Zigarette kennt, mußte er doch schon als Kind dem Vater regelmäßig eine Schachtel Zuban aus der Gastwirtschaft unten im Haus holen. Eine Gelegenheit, den Erzähler beim Rauchen zu beobachten, ergibt sich aber nicht. Zwar wird er selbst in den Prosatexten keinen wirklich schweren Prüfungen unterzogen, einer Reihe kleinerer Prüfungen aber schon. Die schwerwiegendste Prüfung erlebt er ihn Wien, wo er die Lebensgewohnheiten eines Clochards annimmt. Als er sich in diesem Zustand in den Anlagen vor dem Rathaus des längeren mit den Dohlen und mit einer weißköpfigen Amsel unterhält, stellen wir uns ihn vor auf einem Streinmäuerchen sitzend, die Arme über den Knien gekreuzt mit einer Zigarette in der Hand, der Text aber bestätigt diese Annahme nicht ausdrücklich. Auch nach der Bewältigung der Fischschnitte in einem Hotel in Lowestoft, als der Teller nach der Operation mit Messer und Gabel einen furchtbaren Anblick bot, über allem die Sauce Tartare, die aus einem Plastiktütchen hatte herausgequetscht werden müssen, die rußigen Semmelbröseln gräulich verfärbt, und der Fisch selber, oder das, was ihn hatte vorstellen sollen, zur Hälfte zerstört unter den grasgrünen Erbsen und den Überresten der fettig glänzenden Chips: da war wohl eine Zigarette unumgänglich. Nicht anders auf der Wanderung von Oberjoch nach W., nach der Einkehr beim Hirschwirt und nach dem Verzehr einer Brotsuppe und eines halben Liter Tirolerweins - auch hier würde man das Zünden einer Zigarette erwarten, diesmal zur Abrundung des Wohlbehagens.

Genug der Beispiele und zurück zur Frage, warum die Zigarette unerwähnt bleibt. Von der politischen Korrektheit war der Glimmstengel zur Erzählzeit noch nicht in vollem Umfang erfaßt, und zudem wird jemand, der den Zigeuner und selbst den Neger nicht scheut, bei der Zigarette vollends unbesorgt sein. Die Lösung dürfte in stilistischen Erwägungen zu suchen sein. Um Ciorans Effekt zu erzielen, ist ein ausgewogenes Training unerläßlich. Greift ein Nichtraucher bei schwerer Prüfung zur Zigarette, wird er die Lage durch einen Hustenanfall und Übelkeit nur noch verschärfen, ein Kettenraucher andererseits ist zu abgestumpft, um die Notfallwirkung zu erzielen, ein vernünftiges Mittelmaß ist angesagt. Die ausdrückliche Erwähnung aller vollzogenen Trainingseinheiten würde die Prosa belasten, Erwähnung nur in der Notsituation wäre ein billiger Akzent. Gefordert ist der aktive Leser, der, wie hier in einigen exemplarischen Beispielen vorgeführt, die Zigarette von sich aus an den richtigen Textstellen ergänzt.

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