Samstag, 2. Dezember 2017

Lärm

Fortschritt 

Cioran notiert im Vorbeigehen: Le bruit est la conséquence directe du péché originel. Die Erbsünde war das Verlassen der Ewigkeit, la chute dans le temps, der Sturz in Geschichte und Fortschritt. Der fortschreitende Mensch devient de plus en plus bavard, tapageur, tonitruant, il exulte dans le vacarme. Im stillen Haine gehe ich oft zu lauschen, wenn alles schweigt - im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert war das Lärmen, obwohl die Richtung längst vorgegeben war, noch nicht so ohrenfällig, jetzt sind vielerorts stille Haine nur schwer noch zu finden, schwerer noch allumfassendes Schweigen. Wo immer wir auch in einem Hotelzimmer erwachen, in Wien, in Frankfurt oder in Brüssel, horchen wir, die Hände unterm Kopf verschränkt, nicht auf die Stille, sondern mit wachem Entsetzen auf die Brandung des Verkehrs, die zuvor schon stundenlang über uns hinweggegangen war. Das also ist, denkt man, der neue Ozean. Unaufhörlich, in großen Schüben, über die gesamte Breite der Städte kommen die Wellen daher, werden lauter und lauter, richten sich weiter und weiter auf, überschlagen sich in einer Art von Phrenesie auf der Höhe des Lärmpegels und laufen als Brecher aus über den Asphalt und die Steine. Le progrès est l‘équivalent moderne de la Chute, la version profane de la damnation, die Maschinen haben begriffen, daß man nicht mehr schlafen darf. Aus dem Getöse entsteht das Leben, das nach uns kommt und das uns langsam zugrunde richten wird. In Venedig ist es noch ein anderes Aufwachen, still bricht nämlich der Tag an, durchdrungen nur von einzelnen Rufen, vom Hinauflassen eines blechernen Rolladens, vom Flüsterschlag der Tauben, kostbare Töne, Töne, wie auch die Stadt selbst, dem Untergang geweiht. Wir müssen uns eingestehen, daß wir selbst bereits die sind, die nach uns kommen.

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