Montag, 13. November 2017

Chronos

Ruck für Ruck

Cioran notiert: Deux choses m’ont toujours rempli d’une hystérie métaphysique: un montre qui ne foctionne pas et une montre qui marche. Austerlitz befreit sich aus dem Dilemma, indem er die Uhr ganz aus seinem Leben verbannt, nie habe er eine Uhr besessen, weder einen Regulator noch einen Wecker, noch eine Taschenuhr und, wie mit Blick Cioran, eine Armbanduhr schon gar nicht. Die praktischen Nachteile und möglichen Unpäßlichkeiten einer defekten oder fehlenden Uhr im Alltag sind den beiden Zeitskeptikern nicht der Rede wert. Die Zeit gilt Austerlitz als menschliche Erfindung, und zwar als die künstlichste von allen. Er bezweifelt sowohl die Meßmethoden als auch die Metaphern, wenn Newton gemeint hat, die Zeit sei ein Strom, wo ist dann der Ursprung der Zeit und in welches Meer mündet sie endlich ein. Wenn alle unsere Vorstellungen von der Zeit falsch sind, dann erscheint auch der Zufall in einem anderen Licht und hinter statistischen Unwahrscheinlichkeiten läßt sich oft eine erstaunliche, geradezu zwingende innere Logik erkennen. Ashman, einige Seiten weiter im Buch, geht weniger argumentativ vor. Als er zum ersten Mal nach zehn Jahren sein altes Kinderzimmer wieder betrat, sei ihm beim bloßen Anblick des Bildnisses der Arche an der Wand, aus dem paarweise die braven, aus der Flut geretteten Tiere hervorschauten, gewesen, als öffne sich vor ihm der Abgrund der Zeit. Eine Wut sei in ihm aufgestiegen, und ehe er noch wußte, was er tat, habe er draußen auf dem Hof gestanden und mehrmals mit seiner Flinte auf das Zifferblatt des Uhrtürmchens geschossen. Gleichgültig gegenüber alldem aber dreht Chronos nur immer unverwandt und gleichmäßig mit dem Daumen und dem Zeigefinger seiner rechten Hand den sechskantigen Stiel des Glases Ruck für Ruck weiter, so gleichmäßig, wie es nur jemand vermag, der in seiner Brust statt eines Herzens das Räderwerk einer Uhr hat.

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