Sonntag, 2. April 2017

Spilt Saints

Lots Weib


Thomas E. Hulme sieht das Wesen der Romantik in verschütteter, in die Fläche gegossener Religion, spilt religion, bei Verlust ihrer eigentümlichen Gestalt habe die Religiosität das Geistesleben insgesamt geflutet. Gleich am Eingang seines Werkes schickt der Dichter die komplette Schar der Nothelfer aus, der heilige Georg wird aussteigen aus dem Tableau, um in der Neuzeit als Giorgio Santini das Leben eines Hochseilartisten zu führen, die anderen überläßt er ihrem Schicksal. Später dann liegt der heilige Franz in einem schwankenden Schilfbeet mit dem Kopf nach unten im Wasser und über die Sümpfe schreitet die heilige Katharina, ein kleines Modell des Rades, auf dem man sie gebrochen hatte, in der Hand. Das ist nicht die ursprüngliche Verschüttung der Romantik, sondern die Verklappung des bereits Verschütteten. In den Sümpfen treffen die maroden Heiligen sich mit den alten Magiern, den Zauberern und Astrologen, den Alchimisten, den Traum- und Koinzidenzdeutern.

Die vergossene Religion ist nur ein Rinnsal, Löwy & Sayre* definieren die Romantik als breiten, der Moderne gegenläufigen Strom, wie immer man die Moderne verstehen will, als Maschinenzeitalter, als Kapitalismus oder als Gesellschaft mit primär funktionaler Differenzierung. Der Gegenstrom ist seinerseits zweigeteilt, das eine Flußbett beschienen vom lumière de l‘étoile de la révolte, das andere von der schwarzen Sonne der Melancholie, zahllose Bäche führen vom Euphrat zum Tigris und zurück, ein innerhalb der Fließwasserkunde selten beobachtetes Phänomen. Schon wer der Moderne nicht zujubelt und ihrem Zukunftsversprechen nicht rückhaltlos vertraut, wer, wie Lots Weib, auch nur für einen Augenblick zurückschaut, trägt den Virus der Romantik in sich. Daß der Dichter unter diesen definitorischen Bedingungen als Romantiker zu sehen ist, bedarf keiner weiteren Ausführung, man käme mit den Belegstellen nicht zum Ende, selbst die beliebte Rheinromantik fehlt nicht, unweit von Bacharach, das große Heer der Mäuse in den Fluten, die kleinen Gurgeln nur knapp über den Wogen, verzweiflungsvoll. Klar ist auch, daß seine Prosa nicht im Euphrat der Revolte, sondern im Tigris der Melancholie verläuft. Eine dunkle Sonne mag über ihr scheinen, kann ihr strahlendes Eigenlicht aber nicht trüben. Als Spätromantiker kann man ihn nicht bezeichnen, da der Begriff keinen Sinn macht. Solange die Moderne anhält, als Kapitalismus oder wie immer man sie begreifen will - und sie macht keine Anstalten abzutreten -, wird eine immerjunge Romantik sie begleiten. Die Smartbrille könnte es richten, sie wird bald schon verpflichtend sein und dann auf technischem Wege die Funktion des Rückblicks unterdrücken. Lots Weib ist dann für immer bewahrt vor dem Bösen – bhfad uainn go léir an drochrud. Alles könnte ganz anders sein und kaum etwas läßt sich ändern, nichts ist auch nur einen Augenblick lang dasselbe und fast alles vollzieht sich blind über unseren unnützen Köpfen.

*Révolte et mélancholie, Le romantisme à contre-courant de la modernité, darin auch Zitat Hulme

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