Montag, 13. März 2017

Cogadh na Saoirse

Vergeltungsfeuer

Mo ghrá é Hitler, Hitler mon amour, wird unter der irischen Friedhofserde gemurmelt, aber das ist Totengewäsch und weiter nicht ernst zu nehmen. Ein Ire wird allerdings aus seinem Blickwinkel nicht Hitler oder Stalin – mit beiden ist er kaum in Berührung gekommen -, sondern Cromwell als den übelsten Menschenschlächter der Geschichte ansehen. Die Auswirkung der sogenannten Rückeroberung Irlands Mitte des siebzehnten Jahrhunderts auf die irische Bevölkerung waren harsch, die Schätzungen der Bevölkerungsreduktion sind unscharf und erreichen einen Höchstwert von 80 Prozent. Die Große Hungersnot, Gorta Mór, Mitte 19. Jahrhundert forderte erneut rund 20 Prozent der Bevölkerung. In der Summe ergibt sich der, allerdings auf einer unzulässigen Rechenoperation beruhende Wert von 100 Prozent. Der Ausbruch des Hungers ist den englischen Herren des Landes nicht unmittelbar zuzurechnen, wohl aber gilt der Vorwurf massiv unterlassener Hilfeleistung.

Sprechende Namen sagen nur selten die Wahrheit. Mr. Squirrel etwa war nicht etwa besonders eilfertig und behende, sondern, entgegen allem, was man vermuten konnte, ein finsterer und schwerfälliger Riese. Der Ladenbesitzer in Clarahill Mr. O’Hare, was nichts anderes heißt als Grandchild of the Angry Man, erweist sich als ausgesprochen leutselig und bald schon ist der wandernde Dichter mit ihm in ein langes Gespräch über Newtons Gravitationslehre verwickelt. O’Hare ist es auch, der ihn auf die Übernachtungsmöglichkeiten bei den Ashburys hinweist. Die Ashburys sind aber tatsächlich wie die unter Asche vergrabenen Trümmer des englischen Kolonialismus in Irland.  

Mrs. Ashbury wußte, als sie 1946 heiratete und dann mit ihrem Mann nach Irland übersiedelte, nach eigenem Bekunden von den irischen Dingen gar nichts. Ihr Mann habe sich zu den irischen Verhältnissen grundsätzlich nicht geäußert, obwohl er als Kind den Befreiungskrieg (Cogadh na Saoirse) selbst erlebt und schreckliche Dinge gesehen hatte. Er hätte sich nicht äußern können, ohne zu urteilen, ein Urteil aber wollte er sich nicht anmaßen. Nur weniges habe sie sich im Verlauf der Jahre zusammenreimen können. An die dreihundert von den Engländern in Irland bewohnte Herrenhäuser und Landschlösser waren während des Krieges niedergebrannt worden, darunter auch das nur wenige Meilen vom Anwesen der Ashburys entfernte Haus der Randolphs. Das Niederbrennen der Häuser, die sogenannten Vergeltungsfeuer, galten als das wirksamste Mittel zur Ausräucherung und Vertreibung der mit der verhaßten englischen Staatsmacht, sei es zu Recht oder zu Unrecht, identifizierten Familien. An Personen haben sich die Aufständischen nie vergriffen. Das Haus der Ashburys wurde nicht niedergebrannt und macht gleichwohl einen völlig erloschenen Eindruck wie nach einem großen Feuer.

Zu Recht oder zu Unrecht. Das moderne Rechtsverständnis kennt dem Grundsatz nach keine Schuld, die über die des Einzelnen hinausgeht, ein Grundsatz, der in traditionellen Clangesellschaften so unbekannt wie unverständlich war und der auch heute noch in Kriegs- und Krisenzeiten einen schweren Stand hat. Die Ashburys sind die denkbar Unschuldigsten, und doch fällt der Schatten der Schuld auch auf sie. Wenn sich unverschuldete Schuld über eingeborene Unschuld legt, ist der Weg in die Heiligkeit vorgezeichnet, zumal wenn, wie wir erfahren, das Leben der Ashburys Tag für Tag noch unschuldiger wird. Unbewußt übt Mrs. Ashbury schon den heiligen Zustand, indem sie zwischen den am Bibliotheksplafond angebrachten raschelnden Samenbehälter wie zum Himmel auffahrend zur Hälfte verschwand, und selbst dem Dichter ist, als würde er im Hause der Ashburys über einem Quecksilbersee schweben.

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