Montag, 14. November 2016

Ya-ik-tee

Tischgespräche

Dem Zeitungsbericht zufolge hatte Le Strange Florence Barnes, eine einfache junge Frau aus dem Landstädtchen Beccles, eingestellt unter der ausdrücklichen Bedingung, daß sie die von ihr zubereiteten Mahlzeiten mit ihm gemeinsam, aber unter Wahrung absoluten Schweigens einnehme. Redeverbot beim Essen ist nicht gleichbedeutend mit einem umfassenden Schweigegebot, selbst das krasse Gegenteil soll möglich sein. Wir denken an Buñuels Film: Die Nahrungsaufnahme gilt als beschämend, das Essen wird einsam in einer kleinen Kammer hastig und selbstverständlich schweigend heruntergeschlungen, anschließend trifft man sich plaudernd beim geselligen Stuhlgang – ein Lehrstück, das uns einweisen will in die totale Konventionalität und Zufälligkeit aller Konventionen, ein Lehrstück freilich, von dem sich kaum jemand belehren läßt, die Darmentleerungsparty ist offensichtlich ein bloßer Humbug.

In dem Westernfilm The Stalking Moon bietet Gregory Peck Eva-Marie Saint, die er aus zehnjähriger Gefangenschaft der Apachen befreit hat und die nun nicht weiß wohin, aus Mitleid, mehr aber noch wegen einer rapide anwachsender Zuneigung, die Stelle als Hauswirtschafterin und Köchin auf seiner Ranch in Neu Mexiko an, die er nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst fortan bewirtschaften will. Schon ist die erste Mahlzeit zubereitet, Peck nimmt am Tisch Platz, Saint steht mit ihrem Apachensohn wortlos in einer Ecke. Auf Schweigsamkeit bei den Mahlzeiten ist der Rancher nun aber gerade nicht aus. Er bittet die beiden, Platz zu nehmen am Tisch und beginnt dann mit einfachen Gesprächsübungen: Kann ich bitte das Salz haben, möchten Sie noch etwas Fleisch &c. Der Junge, der außerhalb der Apachensprache kein Wort versteht, schweigt naturgemäß weiter und Saint gelingt schließlich unter Mühen ein einziger Satz nur: Es ist nicht einfach für mich. Es ist nicht einfach, zurückzufinden aus den sozialen Verhaltensweisen und Konventionen von Steinzeitmenschen in die Welt des weißen Mannes. Bis zum Ende des Filmes wird Saint erfreuliche Fortschritte machen, die Sache ist ja nicht so verfahren wie bei Buñuel. Der Vater des Apachenjungen, das sei noch erwähnt, heißt Ya-ik-tee, übersetzt: Er-ist-nicht-da. So könnten auch Le Strange und die anderen heißen, ob sie nun in ein fernes Land oder in ein anderes Segment ihres Inneren, eine andere Seele* ausgewandert sind. Im übertragenen Sinn kann Ya-ik-tee auch Er-ist-tot bedeuten.

* Inna dusza, Eine andere Seele, ein Roman von Łukasz Orbitowski

Keine Kommentare: