Sonntag, 2. August 2015

Dunkelkammer

Am Ende des Weges

Strauch wird von dem Famulus korrekt als Kunstmaler geführt, selbst stuft er sich als Anstreicher ein. Alle von ihm gemalten Bilder habe er längst verheizt. Ansonsten spricht er, der pausenlos auf den Famulus einredet, kaum von seiner Kunst. In künstlerischen Fragen habe er am meisten seiner Haushälterin vertraut. Von ihr, die keine Ahnung von Kunst hatte, habe er die besten Urteile gehört. Im Gegensatz zu anderen Malern, die in hellen Räumen arbeiten müssen, konnte er nur in völlig abgedunkelten Räumen malen. Es muß finster sein, dann kann ich malen. Nur in völliger Finsternis. Glaubte er, ein Bild sei fertig, zog er die Vorhänge zurück und sah, daß es nichts geworden war, daß es wieder nur ein Ansatz war, daß es nichts war, nichts, nichts, nichts. Jetzt male er ja nicht mehr. Frost handelt von einem Künstler, der, wie er sagt, mit Dreiundzwanzig eigentlich schon fertig gewesen und am Ende des Weges angekommen war.

Bei Tiepolo sah es noch ganz anders aus. Als er schon auf die Sechzig ging und bereits sehr an der Gicht litt, lag er in der Kälte der Wintermonate zuoberst auf dem Gerüst einen halben Meter unter der Decke des Treppenhauses der Würzburger Residenz mit kalk- und farbverspritztem Gesicht und trug trotz der Schmerzen in seinem rechten Arm mit sicherer Hand die Farblasur ein in das Fleck für Fleck aus dem Verputz entstehende Weltenwunderbild. Aber: Tiepolo fu adatto ad assumere il ruolo di epilogatore della pittura, almeno in quel senso particolare, singolare, irrecuperabile che aveva assunto in terra europea per cinque secoli. Dopo, restavano gli artisti, pieni di umori, capricci, estri, insofferenze. E alla fine rischiarano di non esserci più neppure loro.

Wie Bernhards Kunstmaler Strauch, so zählt auch Sebalds Kunstmaler Aurach zu den artisti pieni di umori, capricci, estri, insofferenze. Aurach arbeitet in einem vom Staub verdunkeltem Atelier. Da er die Farben in großen Mengen aufträgt und sie im Fortgang der Arbeit immer wieder von der Leinwand herunterkratzt, ist der Bodenbelag bedeckt von einer im Zentrum mehrere Zoll dicken, nach außen allmählich flacher werdenden, mit Kohlestaub untermischten, weitgehend bereist verhärteten und verkrusteten Masse, die stellenweise einem Lavaausfluß gleicht und von der Aurach behauptet, daß sie das wahre Ergebnis darstelle seiner fortwährenden Bemühungen und den offenkundigsten Beweis für sein Scheitern. Einerseits arbeitet er zehn Stunden täglich in dem düsteren Atelier, andererseits ist er mit dem Ergebnis eines Schaffens nie auch nur annähernd zufrieden und das Werk, das ihm am meisten am Herzen gelegen war, das in einer nahezu ein Jahr sich hinziehenden schweren Arbeit abgeschlossene gesichtslose Porträt Man with a Butterfly Net sei zugleich sein verfehltestes. Mit der Anerkennung, die er inzwischen in der Kunstwelt findet, und dem eingehenden großen Geld hat er nichts zu schaffen. Obwohl Aurach seinen Weg innerhalb und nicht, wie Strauch, außerhalb der Malerei fortsetzt, ist auch er längst am Ende seines Weges angelangt.
Strauch und Aurach arbeiten in Dunkelkammern, wie sie eigentlich zum Milieu des Photographen gehören. Für Austerlitz war stets der Augenblick der wichtigste, in dem man auf dem belichteten Papier die Schatten der Wirklichkeit sozusagen aus dem Nichts hervorkommen sieht, genau wie die Erinnerungen, die ja auch inmitten der Nacht in uns auftauchen und sich dem, der sie festhalten will, so schnell wieder verdunkeln, nicht anders als ein photographischer Abzug, den man zu lang im Entwicklungsbad liegenläßt. Vielleicht hat der Photograph Francis Jansen, von dem Modiano uns das wenige erzählt, das er von ihm weiß, ähnliche Freude in der Dunkelkammer empfunden. Wir lernen ihn kennen, als er, am Ende seines Weges angekommen, das Photographieren aufgibt. Merkmale seiner Kunst bleiben erkennbar, aucun goût pour le pittoresque, mais tout simplement son regard à lui, un regard dont je me rappelle l'expression triste et attentive. Die Kamera handhabt er wie John Wayne den Colt, avec désinvolture, con sprezzatura, il jetait un œil furtif sur le cadre de l'appareil, à la hauteur de sa taille, et pourtant je savais que chacune de ses photos était d'une précision extrême. Prägend aber und zugleich eine Lektion für den Erzähler ist die Nähe zum Schweigen: Une photographie peut exprimer le silence, mais les mots? Il m'avait mis gentiment au défi de suggérer moi aussi avec les mots: le silence. Ob auch die modernen Dichter pieni di umori, capricci, estri, insofferenze sind und rsikieren, di non esserci più neppure loro alla fine, dazu sagt Calasso nichts.

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