Mittwoch, 1. Juli 2015

Parataxe

Nebelweiten

In der Besprechung des Buches* einer jungen, sich vorwiegend in kurzen Hauptsätzen äußernden Autorin wird auf Adorno verwiesen: Das hauptsatzlastige Schreiben sei ein Verfahren, das die Annahme negiert, ein Subjekt könne mithilfe der Sprache die Wirklichkeit bewältigen und ordnen. Die Parataxe stelle stattdessen einen Bezug zur Erfahrung des Heterogenen, des logisch nicht Subsumierbaren her. Parataxe wäre der Satzbau nach Menschenmaß, Hypotaxe der Hybris verdächtig. Romane sind, selbst wenn sie parataktische Sätze bevorzugen, letzten Endes eine riesige Hypotaxe von Themen, Handlungssträngen und Motiven und man kann Menschen treffen, die das Lesen von Romanen ablehnen, da sie in dieser Gattung grundsätzlich Gewalt und Anmaßung vermuten. Hinter Sebalds vielfach gerühmten Satzlandschaften aber wäre eine Hybris geradezu kriminellen Ausmaßes versteckt.

Falls Adorno die Wahrheit überhaupt trifft, trifft er sicher nicht die ganze und nicht die alleinige Wahrheit. Wer wollte unter Schwindelgefühlen die Wirklichkeit bewältigen, wer sie ordnen, wenn sie in seinen Augen unaufhaltsam auf ihren Untergang zuhält, wenn er selbst in einem unbegreiflichen Gefühl der Unverbundenheit sich sehr schnell aus dem Leben entfernen könnte. Umso mehr ist dem Dichter daran gelegen, in der Sprache einen bewohnbaren Bezirk zu bewahren, und das selbstironische Lächeln der Sätze gilt nicht zuletzt dem gestalteten Mißverhältnis von beherrschter Form und chaotischem Inhalt.

In der Philosophie, abseits von Adorno, gab es die Hoffnung, ausgehend von schlichten Protokollsätze mit augenfälligem Inhalt ein unendliches Gebäude wahrer Sätze errichten zu können, in der Prosa suggeriert die Abfolge knapper Sätze Realitätsnähe, eine Nähe, die für nicht wenige Ohren durch das Einstreuen von Derbheiten noch erhöht werden kann. Die Wirklichkeit wäre durch bloßes Draufzugehen zu bewältigen, Hypotaxe bliebe den Seidenspinnern im Elfenbeinturm.

Une rue calme. Ils étaient les seuls passants. La nuit tombait. Rue bleue. Ce nom avait paru irréel à Bosmans. Ils se demandait s'il ne rêvait pas: Modiano bewegt sich am unteren Rand der Hypotaxe, keine sich ausbreitenden Satzgebilde, Hauptsätze, ein Haupt- und ein Nebensatz, oft nachgeschobene Teilsätze. Von Wirklich- keitsbewältigung mithilfe knapper Sätze kann keine Rede sein, kaum von Wirklichkeitsberührung. Immer wieder muß sich der Autor in Listen von Telephonnummern, von Adressen, vor allem aber im Straßenplan von Paris Haltegriffe verschaffen, um sich nicht vollends in den glänzenden Nebelweiten des Ungesagten zu verlieren. Die Wege der Sätze sind unergründlich.

*Christina Lenz über Julia Wolfs, wie es heißt, verstörendes Romandebüt, FR 16.6.15

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