Dienstag, 19. Mai 2015

Giardino Giusti

Der rechte Garten

Im siebzehnten Jahrhundert habe das gartenbauliche Ideal, so J.M. Rymkiewicz*, dabei auf Francis Bacons Of Gardens Bezug nehmend, in der Erzeugung einer Illusion des ewigen Frühlings bestanden, später sei dann in der Literatur der herbstliche Garten bestimmend geworden bis hin zur Verschmelzung von Garten und Friedhof zu einem einzigen Motiv. Selysses besucht den Giardino Giusti im Herbst und gibt sich insofern, so könnte man meinen, als Vertreter der Moderne zu erkennen. Tatsächlich aber weist der Giardino Giusti mit seinen immergrünen Zypressen keine herbstlichen Spuren auf und auch sonst keine jahreszeitlichen Merkmale, er ist jahreszeitenlos.
Der Garten als ewiger Frühling und der herbstliche Garten als Friedhof, zwei Ewigkeiten oder besser: zwei halbe Ewigkeiten, eine Ewigkeit des Lebens und die Ewigkeit des Todes. Der Giardino Giusti - immer ist man versucht, vom Giardino giusto zu sprechen - übergreift die beiden Ewigkeitshälften. Ein türkisches Taubenpaar erhob sich mehrmals hintereinander mit einigen wenigen Flügelschlägen steil über die Wipfel und stand eine Weile still in der blauen Himmelshöhe. Dann segelten die Tauben, ohne sich selbst zu rühren, in weiten Bögen um die schönen Zypressen herum, von denen die eine oder andere vielleicht an die zweihundert Jahre schon gestanden hatte an ihren Platz. Es soll Bäume geben, die gut ein Millennium überdauert und anscheinend an das Sterben vergessen habe. Die mystische, im Augenblick verborgene Ewigkeit des Taubenflugs verschränkt sich mit der im Lebensvollzug kaum wahrnehmbaren, dem mineralischen Zustand noch verwandten Ewigkeit der Bäume.
Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gen Morgen und setzte den Menschen hinein. Wie alle wissen, ist die Geschichte nicht gut ausgegangen, es war wohl falsch, den Menschen in den Garten zu setzen. Dahingestellt bleiben kann, ob er sich als gartenuntauglich erwiesen hat oder ob die Anforderungen an ihn unbillig waren. Der Giardino giusto, der rechte Garten ist menschenleer. Man hört das feine Geräusch beim Rechen der Kieswege, bekommt den Gärtner aber nicht zu Gesicht. Wäre der Gärtner ein Mensch, so hätte er wohl eine lärmende Maschine zum Einsatz gebracht. Die Pförtnerin sitzt in einem kleinen Gehäuse im Vorhof außerhalb des Gartens. Selysses durfte den Garten mit einer besonderen, kurz bemessenen Lizenz betreten, um von ihm berichten zu können.

* Myśli różne o ogrodach (Einige Gedanken zu den Gärten)

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