Mittwoch, 17. Dezember 2014

Odisseo

Der unsichtbare Gefährte
Immer wieder, wenn auch nicht oft, sind Menschen aufgetreten, wirkliche oder erdachte, die dem Leben der anderen eine neue Richtung gegeben haben. Für das Abendland von herausragender Bedeutung ist naturgemäß Jesus von Nazareth, angesichts seines göttlichen Charakters als der Christus ist er aber für die Orientierung in den Niederungen des Alltags nur bedingt tauglich. Das sieht bei Odysseus, der während des Zusammenlebens mit Kalypso mannhaft der Verlockung der Unsterblichkeit widerstanden hatte, anders aus. Odisseo portò per la prima volta a trionfare il mediato sull'immediato, il differimento sulla presenza, la mente ricurva sullo slancio rettilineo. Tutti i caratteri che, nei secoli, vennero assegnati al mercante, allo straniero, all'ebreo, al commediante, furono prima coniati da Odisseo all'interno di se stesso. Così, mentre Achille e Agamennone si stagliano nel ricordo come relitti di un'altra creazione, divorata da una catastrofe, Odisseo permane familiare, come un compagno invisibile. Quella presenza che da lui era stata negata nella sua immediatezza viene riscattata nello scorrere della memoria e della storia. Achille va evocato; Odisseo sta già al nostro fianco, ovunque e comunque.

Sebalds Erzähler wurde, bezugnehmend auf seine Reisetätigkeit, ein wenig voreilig vielleicht und unbedacht, Selysses genannt, bei der Lektüre von Robert Calasso aber mehren sich die Hinweise, daß die Namensvergabe so ungeschickt nicht war. Compagno invisibile, ein unsichtbarer Gefährte: das Bedürfnis nach einem Weggefährten, einem Therapeuten bestand längst, bevor die Professionalisierung die Figur ruinierte. Die Wahl des Gefährten ist folgenreich, hätte Don Quijote Odysseus gewählt anstatt Amadis de Gaula, wären ihm die Windmühlen und manches andere erspart geblieben, Cervantes aber hätte sein Buch wohl nicht geschrieben, und wir hätten den Ritter von der traurigen Gestalt nicht kennengelernt. Mercante, straniero, ebreo, commediante: Den Händler können wir im Fall des Selysses beiseitelassen, als Ausgewanderter, Fremder aber stilisiert er sich, vom Komödianten hat er nicht wenig und in vielen Fällen ist er der Wegbegleiter von Juden. Viele, ovunque e comunque, beziehen sich auf Odysseus, die Namenswahl war kein exklusiver Einfall, aber doch treffend.

Così, mentre Achille e Agamennone: Odysseus ist ein Heroe wie Achilles oder Agamemnon, genauso blutverliebt, skrupel- und ruchlos wie diese, seine Besonderheit ist ein Additiv, nur das aber haben wir gewöhnlich vor Augen, wenn wir von ihm sprechen. Auch Selysses entsteht aus Sebald, dem er in vielem täuschend ähnlich ist, durch Subtraktion eines heroischen Kerns, der beim Dichter, etwa im Gefecht mit Alfred Andersch, klar zutage tritt. Selysses ist die Kampfeslust fremd. Als wir ihm das erste Mal begegnen, hat er niemanden, mit dem er sprechen kann, bloß mit den Dohlen in den Anlagen vor dem Rathaus hat er einiges geredet und mit einer weißköpfigen Amsel. Unverkennbar hat er Bedarf an einem Weggefährten, an uns, dem jeweiligen Leser, der jeweiligen Leserin. Schnell aber kehrt sich das Verhältnis um, und wir kommen nicht mehr zurecht ohne ihn, den neuzeitlichen Ulysses, ein unsichtbarer Gefährte al nostro fianco, ovunque e comunque, auch dann, wenn wir das Buch geschlossen haben 

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