Samstag, 15. Februar 2014

Am dunklen Rhein

Taumel

Feelings my friend wrote Schumann are stars which guide us only under a dark sky. Wir haben erfahren, daß die Gefühle in der ursprünglichen deutschen Fassung des Gedichts Sterne waren, die nur am lichten Tag uns leiten. Können wir uns daraufhin auf die Lichtverhältnisse in den anderen Gedichten aus For Years Now noch verlassen, ist es ohne jeden Zweifel the brown coat, the one he used to wear on his night journeys, der nachgesendet werden soll und nicht eher der helle Staubmantel für Sonnentage, wenn nicht gar, für nasses Wetter, der berühmte blaue Regenmantel mit der schadhaften Stelle an der Schulter - immerhin ist gleich darauf vom blue gras die Rede, seen through a wafer thin layer of frozen water.

Seit gut dreihundert Jahren steht die Welt im Zeichen intensiver Erhellungsbemühungen, der lichte Schein der Toleranz etwa soll noch die finstersten Winkel in ein mildes Licht tauchen, dort, wo vor Zeiten das Strafgericht des Herrn eingeschlagen wäre mit den dunklen Farben des Fegefeuers und den Qualen der Verdammnis. Die Nacht wird buchstäblich zum Tag gemacht, um 1870, als bereits allenthalben an Projekten zu einer totalen Illumination unserer Städte gearbeitet wurde, sollen zwei englische Wissenschaftler mit den seltsamerweise zu ihren Forschungen passenden Namen Herrington und Lightbown versucht haben, aus der von den toten Heringen ausgeschwitzten luminösen Substanz die Formel zur Erzeugung einer organischen, sich fortwährend von selber regenerierenden Lichtessenz abzuleiten. Das Scheitern dieses exzentrischen Planes war ein kaum nennenswerter Rückschlag in der sonst unaufhaltsamen Verdrängung der Finsternis. – Innerhalb eines Gegensatzpaares wird jeder nach seinem Temperament die eine oder aber die andere Seite bevorzugen, alle Versuche aber, die eine Seite zugunsten der anderen verschwinden zu lassen, sind zum Scheitern verurteilt. What is it that so darkened our world, Beleuchtungsapparaturen sind keine Antwort auf diese Frage.
Auf welchen uns bekannten Nachfahrten mag Selysses den braungefärbten Mantel getragen haben; auf der Fahrt von Wien nach Venedig im Herbst 1980 mag er von Nutzen gewesen sein, ebenso auf der Flucht zurück über den Brenner noch im selben Jahr, als der Regen schon in Schnee überging. Bei der Wiederholung der Fahrt im Sommer 1987 war leichteres Tuch angesagt. Oder geht es gar nicht in erster Linie um die Alpen, sondern um das Rheintal: Rhine Valley at dusk northward we go into the bays of darkness.

Die Fahrt mit dem Zug durch Süddeutschland findet bei Taglicht statt und ist gänzlich unspektakulär, Waldparzellen, Kiesgruben, Fußballplätze, Werksanlagen, Kolonien von Reihen- und Einfamilienhäusern hinter Jägerzäunen und Ligusterhecken. Die Situation ändert sich von Grund auf, als in Heidelberg, kurz vor Erreichen des Bezirks der Rheinromantik, die Winterkönigin einsteigt. Die Erzählung folgt nun ihrem Blick in eine von ihr verzauberte Landschaft. Von einem starken Wind getrieben wehten die Heckflaggen der die graue Flut durchpflügenden Lastkähne nicht nach rückwärts, sondern wie auf einer Kinderzeichnung nach vorne zu. Das Licht hatte abgenommen, bis nur mehr eine fahle Helle das Stromtal erfüllte. Ein allmählich eintretendes Schneetreiben überzog den Prospekt, wie auf einer japanischen Tuschzeichnung, mit einer feinen, fast waagerechten Schraffur, und es war, als seien wir auf dem Weg hinauf in den hohen Norden und näherten uns bereits der äußersten Spitze der Insel Hokkaido. Bei fahlem Licht und kalter Witterung ist der Nachtmantel nicht fehl am Platz. Die Winterkönigin, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Verwandlung der Rheinlandschaft bewirkt hatte, war auf den Gang herausgetreten, um das schöne Schauspiel zu betrachten. My love I am sending you this picturesque view of the river Rhine as I will be leaving today by the six o’clock steamer: wir fragen uns, wie Selysses Name und Anschrift der schönen Fremden, die anzusprechen er dumm und stumm versäumt hatte, dann doch noch in Erfahrung bringen konnte. Ausgestiegen ist sie am Bahnhof Bonn, dürfen wir Bewohner der Bundesstadt sie in unserer Mitte vermuten?

Diesmal von Böhmen her kommend - ein grenzen- und namenloses, gänzlich von finsteren Waldungen überwachsenes Land war zu durchqueren - biegt der Zug irgendwo hinter Frankfurt in das Rheintal ein. In dem in der Dämmerung schwer dahinfließenden Strom liegen die Lastkähne, bis an die Bordkante im Wasser, scheinbar bewegungslos, hinter den schiefergrauen Felsen und den Schluchten, hineinführen verbirgt sich ein vorgeschichtliches und unerschlossenes Reich, die Geschichte der Mordstadt Bacharach, der Binger Mäuseturm, das große Heer der Mäuse, wie es sich in die Fluten stürzt und, die kleinen Gurgeln nur knapp über dem Wasser, verzweiflungsvoll rudert, um auf die rettende Insel zu gelangen. Der große, unregulierte, stellenweise über die Ufer getretene Strom, so wie er von früheren Reisenden beschrieben wurde, in seinem tiefen Wasser das Bild des untergegangenen Kirchdorfs Llanwddyn. Die bereits untergehende Sonne erfüllt das ganze Tal mit ihrem Glanz, aus dem heraus es wie die Morgenröte einer anderen, vergangenen Reise strahlt. Drei riesige Schlote - jeder Rheintalreisende kennt diese Wahrzeichen - ragen hinauf in den Himmel, so als sei das östliche Ufergebirge in seiner Gesamtheit ausgehöhlt und nur die äußere Tarnung einer unterirdischen, über viele Quadratmeilen sich erstreckenden Produktionsstätte.
Northward into the bays of darkness: wo ist dieses Norden, diese Kälte, dieses Dunkel? Bis ans äußerste Nordmeer, wie Georg Wilhelm Steller, müssen wir vielleicht nicht reisen. Hokkaido wurde ins Gespräch gebracht, aber vor allem wohl wegen der nach der Art japanischer Zeichnungen schraffierten Landschaft. In Bala, Wales, hat es Austerlitz immer gefroren, und das Predigerpaar erlebte die völlige Eindunklung. Die topographische Suche ist aber wenig maßgeblich und verfehlt, wenn es um einen unbestimmten Ort der Dunkelheit und Kälte in unserem Inneren geht. Immerhin, die Umkehrung: southward into the bays of darkness, ist nicht gut möglich. Selysses Italienreisen mögen im großen und ganzen scheitern wie zuvor diejenige Kafkas und wie vielleicht sogar diejenigen Stendhals, allein schon der Aufenthalt im Giardino Giusti spricht eine andere Sprache, dort, wo ein weißes türkisches Taubenpaar mit einigen wenigen klatschenden Flügelschlägen steil über die Wipfel sich erhob, eine kleine Ewigkeit stillstand in der blauen Himmelshöhe und dann, vornüberkippend mit einem kaum aus der Kehle dringenden gurgelnden Laut, herabsegelte, ohne sich selbst zu rühren um die schönen Zypressen herum, von denen die eine oder andere vielleicht an die zweihundert Jahre schon gestanden hatte an ihrem Platz. Der hellste Ort aber liegt im Norden, Andromeda Lodge in Gwynedd, Gogledd Cymru. Northward oder southward, das mittlere Land mit dem Rheingraben ist immer nur Transit, aufzuhellen allenfalls von einer Winterkönigin.

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