Montag, 23. Dezember 2013

Farben des Mehls

Wie Blütenstaub

 
Paul Bereyter würde man als einen Enthusiasten der Schülerunterrichtung verstehen, Janine Rosalind Dakyns als eine Enthusiastin Flauberts und des Sandkorns. Von Austerlitz’ Tischnachbarn in der Nationalbibliothek in der rue Richelieu erfährt man zu wenig, um ihn recht einschätzen zu können, ein älterer Herr mit sorgsam gestutztem Haar und Ärmelschonern, der seit Jahrzehnten an einem Lexikon der Kirchengeschichte arbeitete, in welchem er bis an den Buchstaben K gelangt war und das er also nie würde zu Ende bringen können. Mit einer winzigen, geradezu gestochenen Schrift füllte er, ohne je zu zögern oder etwas durchzustreichen, eine seiner kleinen Karteikarten nach der anderen aus und legte sie in einer genauen Ordnung vor sich aus. Was die die Lebenszeit vermutlich überdauernde Aufgabe, die Regelmäßigkeit der Arbeit und die Kleinformatigkeit der einzelnen Teile anbelangt, so ähnelt der namenlose ältere Herr zweifellos Alec Garrad, der aufgrund der Größe des Tempelmodells mit einer Fläche von beinahe zehn Quadratmetern und andererseits der Winzigkeit und Genauigkeit der einzelnen Teile so langsam vorankommt, daß von einem Jahr auf das andere kaum Fortschritte zu erkennen sind, obwohl er die Landwirtschaft im Lauf der Zeit mehr und mehr eingeschränkt hat, um sich ganz dem Tempelbau widmen zu können. Wenn Garrad sich an der Grenze bewegt, an der Enthusiasmus beginnt in Obsession überzugehen, so ist es doch eine stille und ganz und gar geordnete Obsession, während Max Aurachs künstlerisches Tun auffällige Merkmale des Wüsten und Zerstörerischen aufweist. Sein heftiges, hingebungsvolles Zeichnen, bei dem er in kürzester Frist oft ein halbes Dutzend seiner aus Weidenholz gebrannten Stifte aufbrauchte, dieses Zeichnen und Hinundherfahren auf dem dicken, lederartigen Papier sowohl als auch das mit dem Zeichnen verbundene andauernde Verwischen des Gezeichneten mit einem von der Kohle völlig durchdrungenen Wollappen war in Wirklichkeit eine einzige, nur in den Stunden der Nacht zum Stillstand kommende Staubproduktion.
Dr. Abramsky in Ithaca ähnelt als bienenzüchtender Ruheständler zum einen dem mit der Zucht seltener Rosen und Veilchen beschäftigten emeritierten Richter Farrar, zum anderen aber als Traumkünstler dem Maler Aurach. Sein in leidenschaftlicher Besessenheit verfolgtes virtuelles Kunstprojekt besteht in der Beobachtung des Verfalls der Narrenburg, als die er das seinerzeitige, inzwischen längst aufgelassene psychiatrische Sanatorium sieht. Das gesamte Aktenmaterial, die Anamnesen, die Krankengeschichten sind, so denkt er, in der Zwischenzeit längst von den Mäusen gefressen worden. Dem Mäusevolk gilt meine Hoffnung, und sie gilt den Holzbohrern, den Klopfkäfern und den Totenuhren. Von dem Einsturz habe ich einen regelmäßig wiederkehrenden Traum. Ich sehe das Gebäude in seiner Gesamtheit sowohl als jede kleinste Einzelheit und ich weiß, daß das Fachwerk, das Dachstuhlgebälk, die Türstöcke und Paneele, die Böden, Dielen und Stiegen, die Geländer und Balustraden, Rahmungen und Gesimse unter der Oberfläche restlos bereits ausgehöhlt sind, und das jeden Augenblick alles in sich zusammensinken wird. Und so geschieht es dann auch vor meinem Traumaugen, mit unendlicher Langsamkeit, und eine große gelbe Wolke steigt auf und verweht, und an der Stelle des ehemaligen Sanatoriums bleibt nichts als ein Häufchen puderfeines, blütenstaubähnliches Holzmehl.
Es ist eine kunst- und geradezu liebevolle Zerstörung des Sanatoriums, die in der unendlichen Langsamkeit und im Zusammenspiel von Gesamtheit und kleinsten Einzelheiten Garrads Aufbau des Tempelmodells wie in einem zurücklaufenden Film beklemmend ähnelt, im Resultat aber Aurachs tagtäglicher Staubproduktion. Aurach ist seinerseits Garrad auch unmittelbar in einem Traum verbunden, indem er ein winziges Tempelmodell, wenn man so will ein Modell von Garrads Tempelmodell, Modell in jedem Fall eines längst zu Kalkmehl verfallenen Gebäudes, auf dem Schoß des Galiziers Frohwein sieht und zum ersten Mal in seinem Leben eine Vorstellung hat, wie ein wahres Kunstwerk aussieht. In einem traumhaften Gefüge von Bau und Zerstörung dringen die drei, Aurach, Garrad und Abramsky, vor zum Wesen der Kunst und zur Seele der Welt, ein Weg, der zurück zum Ausgangspunkt führt: zu einem Häufchen puderfeinen, blütenstaubähnlichen Holzmehls.
Denn begonnen hatte alles in der Kindheit des Dichters. Nichts war ihm sinnvoller erschienen als diese beiden Tage, Allerheiligen und Allerseelen, Tage der Erinnerung an die Leiden der heiligen Märtyrer und der armen Seelen, an denen die dunklen Gestalten der Dorfbewohner seltsam gebeugt im Nebel herumgingen als seien ihnen ihre Wohnungen aufgekündigt worden. Insbesondere aber berührte ihn alljährlich das Verspeisen der Seelenwecken, die der Mayrbeck einzig für diese Gedenktage machte, und zwar nicht mehr und nicht weniger als einen einzigen für jeden Mann, jede Frau und ein jedes Kind. Die Wecken waren mit Mehl bestäubt, und der Mehlstaub, der an meinen Fingern zurückgeblieben war, ist mir vorgekommen wie eine Offenbarung, und am Abend desselben Tages habe ich lang noch mit einem Holzlöffel in der im Schlafzimmer der Großeltern stehenden Mehlkiste gegraben, um das dort verborgene Geheimnis zu ergründen. Es ist in unserer Zeit selten geworden, daß die spontane Transzendenzvermutung eines Kindes im Mehl seinen Ausgang sucht, Mehlkisten im Schlafzimmer der Großeltern wird man kaum noch finden. Letztlich sind es die Seelen der längst zu mehlfeinem Staub zerfallenen Toten, die die Suche veranlaßt haben. Selysses geht den als Kind begonnenen Weg beharrlich weiter, der Zirkel von Zerstörung und Aufbau und Zerstörung, in den er gerät, gerinnt nicht zu einem aus- und nachsprechbaren Urteil. Antworten finden er und wir nicht, aber es reichen eigentlich schon die Fragen.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Fremd

Strange:

foreign: alien: from elsewhere: not of one’s own place, family or circle: not one’s own: nor formerly known or experienced: unfamiliar: interestingly unusual: odd: estranged: like a stranger: distant or reserved: unacquainted: unversed: exceedingly great, exceptional
Deleuze schreibt, niemals könne das sujet traité, sujet conscient, Träger der künstlerischen Wahrheit sein kann, sondern immer nur les thèmes inconscients, les archétypes involontaires, où les mots, mais aussi les couleurs et les sons prennent leur sens et leur vie. Die sujets traités würden grob gesagt in der Literatur die Themen bestimmen, die thèmes inconscients wären als Motive zu beschreiben. Eines der leitenden Themen bei Sebald ist, auf verschiedenen Ebenen der Bedeutung, die Auswanderung. Die Protagonisten der vier langen Erzählungen sind Ausgewanderte, der Protagonist der überlangen Erzählung Austerlitz ebenso. Innerhalb seiner Poetik spricht Sebald den Hauptdarstellern und den Komparsen dieselbe, durch nichts geschmälerte Daseinsberechtigung zu. Vermutet man die Komparsen hinter den thèmes inconscients, so wären sie, kombiniert man Sebalds Einsichten mit denjenigen Deleuzes, sogar die Überlegenen, die heimlichen Herren der Prosa. Komparsen sind im Themenfeld der Auswanderung unter anderem die auf den ersten Blick auffällig Fremdem, die den Einheimischen outlandish und sich selbst als verloren vorkommen.

Auch in seiner abgeschiedenen Allgäuer Heimat trifft Selysses schon als Kind und Heranwachsender verschiedentlich auf Menschen mit Migrationshintergrund. Auf einem Schuttanger neben der Brücke war in den Sommermonaten der Nachkriegsjahre immer ein Zigeunerlager gewesen. Wenn wir ins Schwimmbad gingen, mußten wir bei den Zigeunern vorbei, und jedesmal hat mich die Mutter an dieser Stelle auf den Arm genommen. Über ihre Schulter hinweg sah ich die Zigeuner von den verschiedenen Arbeiten, die sie stets verrichteten, kurz aufschauen und dann den Blick wieder senken, als grauste es ihnen. Ich glaube nicht, daß irgendein Einheimischer je ein Wort an sie gerichtet hat. Der Blick in die andere Richtung, weg von den als unterlegen angesehenen und hin zu den Überlegenen, der amerikanischen Besatzungsmacht, ist nicht freundlicher, die Bestimmung der Verlorenheit allerdings entfällt hier naturgemäß. Ihre allgemeine Moral wurde von den Einheimischen, wie man ihren halb hinter vorgehaltener Hand, halb lauthals gemachten Bemerkungen entnehmen konnte, als einer Siegernation unwürdig empfunden. Die Weiber gingen in Hosen herum und warfen ihre lippenstiftverschmierten Zigarettenkippen einfach auf die Straße, die Männer hatten die Füße auf dem Tisch, und wann man von den Negern halten sollte, das wußte ohnehin kein Mensch. – Das Kind nimmt weniger die Fremden wahr als die xenophobe Einstellung der Einheimischen, prägend ist aber zugleich der Blick über die Schulter der Mutter hinweg auf das Zigeunerlager, und auch im Hinblick auf die Amerikaner macht es sich eigene, altersgemäße Gedanken: Am unteren Ende der Gasse tauchte ein Fahrzeug auf, wie er zuvor noch nie eins gesehen hatte. Es war eine allseits weit ausladende lila Limousine mit einem hellgrünen Dach. Unendlich langsam und völlig geräuschlos glitt sie heran, und drinnen an dem elfenbeinfarbenen Lenkrad saß ein Neger, der ihm, als er vorbeifuhr, lachend seine gleichfalls elfenbeinfarbenen Zähne zeigte. Da unter unseren Krippenfiguren einer der drei Weisen aus dem Morgenland und zwar derjenige mit dem schwarzen Gesicht, einen lila Mantel mit hellgrünen Besatz trug, stand es für ihn außer Zweifel, daß der Fahrer des Automobils in Wahrheit der König Melchior gewesen ist.

Schließlich ist da der Türke Ekrem, ein nur vorübergehender Bewohner der Ortschaft W., der mit einer leicht befremdeten Distanziertheit betrachtet wird. Seltsamerweise hatte man ihm das Bureau des verstorbenen Baptist Seelos vermietet. Zirka fünfundzwanzigjährig hat er in der Küche große Mengen türkischen Honig hergestellt und dann auf den Jahrmärkten verkaufte. Der Seelos hat er das Mokkasieden beigebracht, und die Seelos Lena ist eines Tages mit einem Kind von ihm niedergekommen, das aber zum Glück bloß eine Woche gelebt hat. Der Ekrem ist bald darauf, wenn nicht zuvor schon, aus W. verschwunden und hat in München einen Südfrüchtehandel angefangen.
Die offizielle Erwartung wird in unseren Tagen dahin gehen, daß der gereifte Selysses der Xenophobie der Dörfler seine eigene Xenophilie, oder besser noch, als Steigerung, eine vollkommene Adiaphorie in Bezug auf das Merkmal des Fremden entgegenhält. Diese Erwartung muß aber enttäuscht werden aus ethischen sowohl wie aus künstlerischen Gründen. Ein deutliches Signal ist die Mißachtung der verbindlichen lexikalischen Präskriptionen, die Sinti bleiben bei Sebald Zigeuner, die Afrikaner Neger und die anderweitig Normalen bleiben die Irren. Die Idee, ein Gott - wie müßte es um ihn bestellt sein - könne den Menschen nach seinem Bilde geschaffen haben, ist den Bewohnern der Sebaldschen Prosa gründlich fremd, ebenso fremd aber die Idee, der Mensch sei neu und einheitlich nach den vorgeblich universellen Mustern der europäischen Aufklärung zu erstellen. Dem aus Europa entflohenen Novelli könnte nichts Schlimmeres geschehen, als wenn unter der Haut der kleinen, kupfrig glänzenden Leute in der grünen Wildnis am Amazonas europäische Wesensart zum Vorschein kämen, und Aurach sucht nicht allabendlich das Wadi Halfa auf, um mit den Wüstensöhnen deren Europäisierung und das fortan vereinheitlichte Menschenbild zu feiern. Bei dem fast zwei Meter großen, auf die Achtzig zugehenden Koch soll es sich um einen ehemaligen Massaihäuptling handeln, den es aus den südlichen Regionen Kenias in das nördliche England verschlagen hatte. Die zahlreiche, mit dem Ausdruck größter Langeweile herumstehenden und herumsitzende Kellnerschaft bestand ausschließlich aus den Söhnen des Häuptlings, von denen der älteste schätzungsweise etwas über sechzig, der jüngste zwölf oder dreizehn Jahre zählen mochte. Wenn Aurach hier regelmäßig eines der grauenvollen, halb englischen, halb afrikanischen Gerichte verzehrt, so nicht weil er in irgendeiner Weise die Annäherung an oder gar die Aufnahme in den Clan sucht, sondern weil die erlebte Distanz ihn frei setzt von den Menschen überhaupt.

Vereinnahmung sowohl wie romantisierende Verklärung der Fremden sind vermieden. Das gilt auch für Selysses, als er in Den Haag auf die vor den Eingängen der diversen Unterhaltungs- und Eßlokale in kleinen Gruppen versammelten morgenländischen Männer trifft, von denen die meisten stillschweigend rauchen, während der eine oder andere ein Geschäft abwickelt mit einem Klienten. Die Distanz gewinnt beträchtlich an Ausmaß, als dann ein dunkelhäutiger Mensch auf Selysses zustürzt, das blanke Entsetzen im Antlitz, verfolgt von einem seiner Landsleute dessen Augen geradezu glänzten vor Mordlust und Wut, ein langes, blitzendes Messer in der Hand.

Das Medium der Kunst ist die Wahrnehmung, also der Unterschied. Wenn die Scheu vor ungerechtfertigter Vereinnahmung der Fremden als ethische Barriere den Weg zur Xenophilie versperrt, so hat Adiaphorie, als Leugnung des Unterschieds, auch in Bezug auf das Fremde im Kunstwerk keinen Platz. Der Künstler kann sich als Bürger die zahlreichen Gleichheitsgebote der Moderne zu eigen machen, zu bezweifeln ist aber, daß sie Teil der künstlerischen Wahrheit im Sinne von Deleuze sein können.

Wenn die Betreiber des Wadi Halfa und die morgenländischen Männer in den Haag in der gleichen Weise wahrgenommen werden wie bereits der Türke Ekrem, so hat auch die mythologisierende Verwandlung des Chauffeurs der lila Limousine in den morgenländischen König Melchior ihre Fortsetzung. Kunst ist immer die Kunst der Wahrnehmung, und die Wahrnehmung kann nicht Halt machen, sie durchdringt ihren Gegenstand, vermutet Türen, die zu öffnen sind auf ein wie immer geartetes Jenseits, zumal, wenn es um das Fremde, schon mit einem Fuß im Transzendenten Stehende geht, Trompe-l'œil-Türen wahrscheinlich nur und die Transzendenz nicht als Augenwischerei: gleichwohl. Die mit erstaunlicher Kunstfertigkeit gemalte Tür führte in ein tief in ein tief verstaubtes, seit Jahren offenbar nicht mehr betretenes Kabinett, das Aurach nach einigem Zögern als das Wohnzimmer der Eltern erkennt. Ein wenig seitwärts auf dem Kanapee sitzt ein fremder Herr, Frohmann, aus der fernen Stadt Drohobycz mit ihren exotischen Zimtläden und hält ein winziges Modell des Tempels Salomonis auf dem Schoß, bei dessen Anblick Aurach zum ersten Mal weiß, wie ein wahres Kunstwerk aussieht. Der Schritt durch die trügerische, lügnerische Tür hat sich wahrhaft gelohnt, führt sie Aurach doch auf einem Wege zurück nach Hause, in die Fremde und zur Offenbarung.
Jetzt also stand Selysses auf dem Trottoir vor dem Eingang zu der fraglichen Station, an der er nie jemanden hatte ein- oder aussteigen sehen, und brauchte, um sich die Mühe des letzten Wegstücks zu ersparen, bloß einzutreten in die dunkle Vorhalle, in der außer einer sehr schwarzen, in einer Art Schalterhäuschen sitzenden Negerfrau nicht ein lebendiges Wesen zu sehen war. Vielleicht erübrigt sich die Feststellung, daß er letztlich doch nicht in diese Untergrundstation hineingegangen ist. Zwar stand er eine beträchtliche Zeit sozusagen an der Schwelle, wechselte auch einige Blicke mit der dunklen Frau, aber den entscheidenden Schritt wagte er nicht zu tun. Welche dunklen oder aber erhellenden Geheimnisse jenseits der Schwelle auf ihn warteten, werden er und wir nicht erfahren. Die Schwelle nicht übertreten zu haben, müßte ihn reuen bis auf den heutigen Tag, so wie es ihn reut, die Einladung zu den Festspielen in Bregenz angenommen zu haben, und wie es ihn reut, das Leben der immer unschuldiger werdenden Ashburys nicht auf Dauer geteilt zu haben. Aber niemand kann im voraus wissen, was geschieht, wenn eine Türe aufgeht, und welche Schrecken dahinter verborgen sind.

In der Liverpool Street Station schaut Austerlitz einem Menschen zu, der zu einer abgewetzten Eisenbahnuniform einen schneeweißen Turban trug und mit einem Besen einmal hier und einmal da etwas von dem auf dem Pflaster herumliegenden Unrat zusammenfegte. Bei diesem Geschäft bediente sich der in tiefer Selbstvergessenheit immer dieselben Bewegungen vollführende Mann statt einer richtigen Kehrschaufel eines Pappdeckelkartons, aus dem eines der Seitenteile herausgerissen war. Schließlich hatte er seinen Ausgangspunkt wieder erreicht, eine niedrige Türe im Bauzaun, aus welcher er vor einer halben Stunde hervorgekommen war und durch die er jetzt wieder verschwand. – Die Fremden sind die Türaufschließer zum Unbekannten oder zum Verlorengegangenen. Anders als Selysses gibt Austerlitz der Aufforderung nach, die Schwelle zu überschreiten, obwohl er bis heute nicht weiß, was ihn veranlaßt hat, dem Inder durch die Tür zu folgen. Für Austerlitz ist es der entscheidende Schritt aus einer Heimat, die ihm immer fremd gewesen ist hinüber in das langsam aus einem fremden Dunkel auftauchende und immer schemenhaft bleibende ferne Vertraute.

Der Komparse Le Strange überstrahlt alle Protagonisten, obwohl er nur wenige Erzählseiten in Anspruch nimmt, führen alle Wege zu ihm, den Ausweis der Fremdheit trägt er, der Einheimische, im Namen. Er war als Krieger in die Fremde gezogen und am 14. April 1945 durch die Tür der Lagers Bergen Belsen gegangen. Genau kann niemand erklären, was in uns geschieht, wenn die Türe aufgerissen wird, hinter der die Schrecken verborgen sind, jedenfalls aber ist ihm seither alles fremd geworden. Er hat die Tür seines Landsitzes in Suffolk hinter sich geschlossen, um sie nicht wieder zu öffnen. Es ist die Inversion der Fremdheit, die sich seines Inneren und auch seines Zuhause bemächtigt hat. Genaueres wissen wir nicht, Genaueres könnte Florence Barnes berichten, aber sie schweigt.