Dienstag, 19. Oktober 2010

Marie schläft

Aus der Schattenwelt
Kommentar
Vor dem Morgengrauen noch erwachte er im Zimmer 38, einem großen, geradezu salonartigen Raum des Palace Hotels in Marienbad, mit einem derart abgründigen Gefühl der Zerstörung, daß er sich, ohne Marie auch nur ansehen zu können, wie ein Seekranker aufrichten und an den Bettrand setzen mußte. Sie schläft, dachte er, ich wecke sie nicht. Warum weckst du sie nicht? Es ist mein Unglück und mein Glück. Ich bin unglücklich, daß ich sie nicht wecken kann, daß ich nicht aufsetzen kann den Fuß auf die brennende Türschwelle ihres Hauses, daß ich nicht den Weg kenne zu ihrem Hause, daß ich nicht die Richtung kenne, in welcher der Weg liegt, daß ich mich immer weiter von ihr entferne, kraftlos wie das Blatt im Herbstwind sich von seinem Baume entfernt und überdies: ich war niemals an diesem Baume, im Herbstwind ein Blatt, aber von keinem Baum. – Ich bin glücklich, daß ich sie nicht wecken kann. Was täte ich, wenn sie sich erhöbe, wenn sie aufstehen würde von dem Lager. Er war ans Fenster getreten, sah entlang der noch regennassen Hauptstraße und im Halbrund gegen die Anhöhe hinauf die großen Hotelpaläste Pacifik, Atlantic, Metropol, Polonia und Bohemia mit ihren Balkonrängen, Ecktürmen und Dachaufbauten aus dem Frühnebel auftauchen wie Ozeandampfer auf einem dunklen Meer. Irgendwann in der Vergangenheit, dachte er, habe ich einen Fehler gemacht und bin jetzt in einer falschen Welt.

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