Donnerstag, 30. September 2010

Liest Flaubert

Sandkorn im Saum

Im zu Lebzeiten Sebalds veröffentlichten Werk findet man Selysses nicht in ein Buch Flauberts vertieft. Der französische Romancier ist ihm aber nicht fremd, denn sehr wohl ist er imstande, den Ausführungen der flaubertbegeisterten Janine Rosalind Dakyns zu folgen, wenn sie ihn auch jedesmal von neuem in Erstaunen versetzt mit ihrem Vermögen, aus der Tausenden von Seiten umfassenden Korrespondenz bei den verschiedensten Gelegenheiten längere Passagen zu zitieren, um dann beim Vortragen ihrer Gedanken oft in Zustände einer fast besorgniserregenden Begeisterung zu geraten.

Neben Flauberts Skrupulantismus mit der Folge von Versagens- und Unwertgefühlen und einer daraus wiederum sich herleitenden häufigen Schreibunfähigkeit, ist es die Leidenschaft Flauberts für den Sand, die Janine ins Auge sticht. Der Sand erobere alles. Immer wieder seien durch Flauberts Tag- und Nachträume ungeheuere Staubwolken getrieben, aufgewirbelt über den dürren Ebenen des afrikanischen Kontinents. Unzweifelhaft ist Selysses, den seinerzeit schon der Maler Aurach in die Wonnen des Staubs eingeführt hatte, von diesen Überlegungen angezogen. In einem Sandkorn im Saum eines Winterkleides der Emma Bovary habe, so Janine, Flaubert die ganze Sahara gesehen, und jedes Stäubchen wog ihm soviel wie das Atlasgebirge. Wenn dieser Staub also auch die Vororte von Rouen oder ein Landstädtchen in der Normandie zu erreichen vermag, so ist Korsika seinen Ursprungsorten doch um einiges näher und es verwundert nicht, daß Flaubert die Insel besucht hat und in seinem Gefolge auch Selysses mit einer repräsentativen Auswahl der Werke des Franzosen im Gepäck. Zu der Frage, wie der Band der Bibliothèque de la Pléiade nach Korsika gelangt, werden im übrigen unterschiedliche und sich widersprechende Auskünfte erteilt. Nach der einen Version hat ihn Selysses kurz vor der Abfahrt in die Tasche geschoben, nach der anderen hat er ihn am Tag seiner Ankunft in seinem Hotelzimmer in Piana in der Nachttischschublade gefunden.

In der Casa Bonaparte in Ajaccio findet Selysses alles noch so vor, wie Flaubert es in seinem korsischen Tagebuch beschrieben hat. Den Zugang zur Education sentimentale findet er mehr oder weniger versperrt. Er plagt sich mit diesem Roman einige Tage ziemlich und verirrt sich immer wieder in dem kaleidoskopischen Wortschatz zur Beschreibung der Kostüme und Interieurs. In einem Zug und begeistert liest er dagegen die Erzählung Un cœur simple, und indem er sie uns ausführlich nacherzählt, tauchen bedeutende Bereiche schriftstellerischer Gemeinsamkeiten auf, so wenn die Sprache auf den unnachahmliche Glanz kommt, der die aus der Kindheit hervorgeholten Ereignisse und Dinge umgibt. Vielleicht erreiche die Literatur ihren höchsten Genauigkeitsgrad nur dort, wo sie die frühesten Gefühle erinnert über die unbarmherzig sich aneinanderreihenden Jahre hinweg. Bei Sebald ist praktisch in jedem Absatz der Sog des Ritorno in infanzia spürbar, auch wenn er nur im Ritorno in patria sozusagen die Hauptrolle erhält. Wenn gerühmt wird, daß die Erkundung der Seelenzustände auf die intimste und zugleich diskreteste Weise vonstatten geht, so ist das beim Blick auf das jeweilige Gesamtwerk für Sebald wohl noch treffender als für Flaubert, denn wer hätte sich von Jean Améry nicht überzeugen lassen, daß er es gegenüber seinem Helden Charles Bovary erheblich an Empathie mangeln läßt. Das Alltägliche wird mit dem Fabelhaften und Übernatürlichen in Verbindung gebracht und genau an der richtigen Stelle, wenn man schon zu wissen glaubt, wie der Satz schließen wird, werden die Worte ins Unerwartete gewendet: wie soll man das nicht als Eigenbeschreibung lesen, denn genau das ist es, was uns bei der Sebaldlektüre den Atem raubt, die Überraschung fast jeden Wortes bei gleichzeitig ruhig dahin fließenden Sätzen und mit der weiteren Maßgabe, daß alles und nicht zuletzt das Überraschende mit zwangloser Notwendigkeit zu geschehen scheint.

Félicité, die Inhaberin des schlichten Herzens, ist unberührt von jeder Schulbildung und religiösen Erziehung, und als sie eine verspätete Einführung in die Geheimnisse der Christenlehre erfährt, findet sie sich doch nie ganz zurecht in der Christlichen Ordnung der Dinge und insbesondere nicht in der schwierigen Sache der heiligen Trinität. Von dem in ihrem Zimmer hängenden Bild des heiligen Geists schaut sie immer auch ein wenig hinüber zu ihrem über alles geliebten Papagei. Hier sind auf rührende Weise zwei große Motivstränge aus Sebalds Werk, die Heiligen und die Tiere, zusammengeführt, und es ist auch schon vorbereitet auf die sich anschließende Lektüre der Légende de saint Julien l'Hospitalier, die sich ungleich tiefer und brennender versenkt in den Kontrast, indem sie ihn als glühende Verschmelzung von perverser Jagdleidenschaft und Berufung zum Heiligenstand erfaßt.


Während Un cœur simple zu Korsika zunächst nur die Beziehung eingeht, daß die Lektüre stattfindet auf der Insel, steht La Légende de saint Julien l'Hospitalier in unmittelbarem thematischen Bezug zu dem korsischen Jagdverhalten. Obwohl das in früherer Zeit so zahlreich in den Inselwäldern wohnende Wild heute nahezu restlos ausgerottet ist, bricht in Korsika nach wie vor jeden September das Jagdfieber aus. Selysses ist von der ihm an sich widerstrebenden Lektüre der Legende in der Fassung Flauberts fasziniert und verstört zugleich. Nicht ein einziges Mal hatte er während des Lesens seinen Blick heben können von der mit jeder Zeile tiefer in das Grauen eindringenden, von Grund auf perversen Erzählung. Erst der Gnadenakt der Transfiguration auf der letzten Seite ließ ihn wieder aufschauen.

Mit dem immer unschuldiger werdenden Leben der Mrs. Ashbury hat Sebald seinerseits un cœur simple gezeichnet, dem die Transfiguration zur Heiligen nur zur Hälfte gelingt, sie bleibt stecken im Plafond: Mrs. Ashbury beschäftigt sich mit dem Sammeln von Blumensamen in Papiertüten, und in solcher Zahl hingen die weißverhüllten Stengel unter dem Bibliotheksplafond, daß sie eine Art Papierwolke bildeten, in der sie, wenn sie, auf der Bibliotheksstaffelei stehend, mit dem Aufhängen oder Abnehmen der raschelnden Samenbehälter beschäftigt war, wie eine in den Himmel auffahrende Heilige verschwand. Es möchte scheinen, als könne der spirituelle Kraftakt zum Erreichen des Heiligenstands nur zum Abschluß geführt werden kann, wenn ein großes Verbrechen als Anlaufstrecke dient. Das ist naturgemäß eine perverse Annahme, die deshalb aber nicht falsch sein muß.

Dienstag, 28. September 2010

Corsica

Scornu di lu mondu

Der Name Korsika hat auf mich seit langem eine besondere, mir selber nicht recht erklärliche Anziehungskraft ausgeübt. Bald tauchte die Insel vor uns auf, ein düsteres, noch von Nachtschatten umfangenes Gebirge. Wenig später aber waren wir, in der Höhe, in der wir uns befanden, umgeben von strahlendem Morgenlicht, und auch drunten auf dem Wasser wichen westwärts die Schatten zurück. Der Pegel des Lichts senkte sich nun auf die Steinwüsten oberhalb der Baumgrenze nieder. Es war, als würde auf der Morgenseite der Berge eine graue Stoffbahn eingeholt und Zoll für Zoll ein auf der glatten Fläche des Meers aufgebahrter Riesenkörper enthüllt oder doch die Überreste eines Felsenskeletts, eine Wirbelsäule, ein Schädeldach, eine Kinnlade, Schulterblätter und Rippen, bizarre Formen aus Quarz- und Feldspatgranit, die aufragten aus dem seit der Zeit des Tertiärs andauernd von ihnen abgefallenen Schutt. - Überwältigender ist die Insel vor uns aufgestiegen aus dem Dunkel, als wir sie, angeschnallt auf unseren Sitzen, durch das schmale Fensteroval eines Passagierflugzeugs hätten whrnehmen können. Nicht zum ersten Mal erzeugt der Dichter den bei aller Beglückung auch deprimierenden Eindruck, es lohne sich kaum, mit dem eigenen geringen Vermögen in die Welt zu schauen und besser verließen wir uns ganz auf seinen Blick.

Welche Gestalt Sebalds Korsikabuch angenommen hätte, wäre es denn geschrieben worden, wissen wir nicht, und dem Autor war es wohl längst auch noch nicht klar. Es hätte sich in der Art der Schwindel.Gefühle entwickeln können oder in die Richtung der Ringe des Saturn oder aber in eine noch andere Richtung, die wir nicht erahnen können. Sicher ist nur, es wäre nicht bei einem Reisebuch geblieben, Korsika wäre in der einen oder anderen Art überwuchert worden, so wie Oberitalien im Buch der Schwindelgefühle und Ostengland im Saturnbuch überwuchert sind von den verschiedensten Erwägungen, Betrachtungen und Exkursen; rätselhafte Motivfäden hätten die Insel spinnennetzartig überwoben. So können wir denn auch dem Cavaliere Barbabiètola nicht ohne Vorbehalt folgen, wenn er Sebald zu den Reiseschriftstellern rechnet. Ohne Zweifel ist die Motorik des Reisens unverzichtbar für die Motorik seiner Prosa, die sich dann aber in ganz andere Räume entfaltet. Vielleicht ließe sich sagen, daß das Reisen bei Sebald an der Stelle steht, die bei Bernhard das Schimpfen einnimmt.

Ohne Zweifel wäre das Korsikabuch ein Werk betörender Schönheit geworden, das verbürgen die bereits endgültig literarisierten Stücke wie die kleine, ungemein elegante Erzählung La cour de l’acienne école, in der Selysses für einmal ortsfest bleibt, und eine Postkarte für ihn die Reise nach Porto Vecchio unternimmt, seinerzeit eine ständig von der Malaria heimgesuchte, halbtote Stadt, umgeben von Salzböden, Sümpfen und grünem, undurchdringlichem Busch; oder die unendlich suggestive Eingangszene der Moments musicaux – man wünscht sich Sergio Leone für die filmische Umsetzung: Eine Stunde später, als ich gerade beim Ausbrechen des Unwetters Evisa erreichte und dort im Café des Sports Zuflucht gefunden hatte, schaute ich lange durch die offene Tür hinaus auf den schräg in die Gasse rauschenden Regen. Der einzige Gast außer mir war ein greiser, mit einem wollenen Kittel und einem ausgedienten Armeeanorak bereits für die Wintermonate gerüsteter Mann. Seine vom Star getrübten Augen, die er gleich einem Blinden etwas aufrecht gegen die Helligkeit gerichtet hielt, waren von derselben eisgrauen Farbe wie der Pastis in seinem Glas. Er blickte nur immer unverwandt nach oben und drehte dabei gleichmäßig mit dem Daumen und dem Zeigefinger seiner rechten Hand den sechskantigen Stiel seines Glases Ruck für Ruck weiter, so gleichmäßig, als habe er in seiner Brust statt eines Herzens das Räderwerk einer Uhr. Aus einem Kassettenrecorder drang eine Art von türkischem Trauermarsch und zwischendurch eine hohe, aus dem Kehlkopf hervorgepreßte Männerstimme. – Hier ist offenbar der Kern der Faszination erkennbar, die Sebald für Korsika empfunden hat, die Verbindung von tiefarchaischen und disparat modernen Elementen, wobei das eine dem anderen in Sebalds Augen an Schrecken nicht nachsteht. Die Moderne ist in der Szene in Gestalt des Kassettenrekorders nur schwach angedeutet, insgesamt aber natürlich weitaus stärker präsent, denn immerhin hat ihre Wiege leibhaftig und wortwörtlich hier in Korsika gestanden, und der Knabe Napulione hat darin gelegen. Die Annahme, das Korsikabuch würde sich um diese Kern und ausgehend von diesem Spannungsfeld entwickelt haben, ist wahrscheinlich nicht übertrieben riskant.

Der Blick zurück in die archaische Welt führt bis zu den megalithischen Zivilisationen in der Gegend von Filitosa und vielleicht noch tiefer in die Zeit, denn aus schwarzen Eingängen und Mauerlöchern schauen die mageren korsischen Katzen, stumm und klug, als hätten sie ein Gedächtnis, das um vieles weiter zurückreicht. Auch in der kaum erst vergangenen Zeit, in der es in Korsika fast nirgendwo Straßen gab, dauerte die archaische Welt noch an, und die Menschen saßen in der Abgeschiedenheit ihrer Wohnungen so gut wie verurteilt zu lebenslänglicher Gefangenschaft. Von Geburt aus ausgesetzt auf einer Insel, deren Küsten sie nur von Hörensagen kannten, wurde das Tal, in dem sie aufwuchsen und zumeist auch starben, zu einer zweiten Insel inmitten der endlosen Wogen der Vegetation.

Diese Umgebung bot die Gewähr dafür, daß das Prinzip der Blutrache auf der Insel intensiver und länger galt als irgendwo sonst, eigentlich bis in unsere Tage. Zwischen 1683 und 1715 fielen ihr 30 000 Menschen zum Opfer bei einer Gesamtbevölkerungszahl von damals kaum 120 000. Ein böses Wort, ein schiefer Blick genügte oft, um die Rituale der Rache ins Rollen zu bringen. Selbst die unter Anwesenheit zweier sich befehdender Parteien oftmals gelesenen Versöhnungsmessen endeten nicht selten damit, daß man sich gleich nach dem Gottesdienst wieder Beleidigungen an den Kopf warf. In gewissem Sinne wurde der hohe Blutzoll der fortwährenden Rachefeldzüge dadurch relativiert, daß die Toten einigermaßen unbeirrt weiterlebten. Überall zogen sie herum, in kleinen Banden und Gruppen und manchmal in regelrechten Regimentern. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie normale Leute, aber sowie man genauer hinschaut, verwischen sich ihre Gesichter oder flackern, gerade wie die Gesichter der Schauspieler in einem alten Film.

Dem ungewöhnlichen, uns jedenfalls in dieser Form nicht vertrauten Verhalten der Toten auf Korsika korrespondieren die ebenso aufwendigen wie zweideutigen Klage- und Bestattungssitten; zweideutig, denn nicht nur beschränkt sich die Kundgebung der ewig währenden Untröstlichkeit der Hinterbliebenen auf das absolute Minimum, sondern sie wirkt fast wie ein den Toten nachgesandtes Schuldbekenntnis, wie eine halbherzige Bitte um Nachsicht an diejenigen, die man vor der Zeit unter die Erde gebracht hat. Und auch bei den dramatischen Trauerveranstaltungen besteht kein Widerspruch zwischen Berechnung und einer echten, tatsächlich bis an den Rand der Selbstaufgabe gehenden Verzweiflung, denn das Schwanken zwischen dem einem Erstickungsanfall gleichenden Ausdruck zutiefst empfundener Seelenschmerzen und einer auf ästhetische Modulation bedachten, geradezu durchtriebenen, um nicht zu sagen abgefeimten Manipulation des Publikums ist ja, auf sämtlichen Stufen der Zivilisation, das wohl bezeichnendste Merkmal unserer verstörten, an sich selbst irre gewordenen Art. Friedhöfe, die dem Nachlaßband Campo Santo seinen Titel verliehen haben, sind auf Korsika überhaupt erst um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf amtliche Anordnung hin eingerichtet worden. Allen Anschein nach waren die Hinterbliebenen nicht willens oder wagten es nicht, einen Toten fortzutragen von seinem Besitz. Überall, da paese a paese, stößt man darum auf kleine Leichenhäuser, Totenkammern und Mausoleen, hier unter einem Kastanienbaum, dort in einem licht- und schattenbewegten Olivenhain.

Dem blutigen Treiben der Vendetta eng verwandt und nach deren Abklingen gänzlich unverzeichtbar ist offenbar das der Jagd. Obwohl das in früherer Zeit so zahlreich in den Inselwäldern wohnende Wild heute nahezu restlos ausgerottet ist, bricht in Korsika nach wie vor jeden September das Jagdfieber aus. Unrasiert, mit schweren Gewehren und bedrohlichem Gehabe, sehen die Jäger aus wie die kroatischen und serbischen Milizen, die ihre Heimat zugrunde gerichtet haben mit ihrem aberwitzigen Aktionismus, und wie die Marlborohelden im jugoslawischen Bürgerkrieg verstehen auch die korsischen Jäger, wenn man sich auf ihr Territorium verirrt, keinen Spaß. An dieser Stelle und bei diesem Thema hätte man im fertigen Korsikabuch mit einiger Sicherheit eine Ausweitung in Richtung Flaubert und seiner Legende vom Heiligen Julian erwarten können, dieser mit jeder Zeile tiefer in das Grauen eindringende, von grundauf perversen Erzählung über die Verruchtheit der Menschengewalt.

Napoleon, der kleine Korse mit den Worten des Cavaliere Barbabiètola, wurde nun allerdings nicht in einem der versperrten Orte im Landesinneren geboren, sondern in Ajaccio, zu dieser Zeit auch eine recht bescheidene Siedlung, aber mit Blick aufs Meer. Aber nur wenig zuvor, nach der Niederlage von Corte, hatte sich Napoleons Vater mit seiner Frau Letizia, die zu dieser Zeit schwanger war mit dem künftigen Kaiser, durch die wüsten Berge und Schluchten des inneren Landes in die Küstenstadt begeben, und die beiden winzigen Personen müssen auf ihren Mauleseln inmitten des überwältigenden Panoramas oder allein in der finsteren Nacht bei einem Lagerfeuerchen sitzend, ausgeschaut haben wie Maria und Joseph auf einer der vielen Darstellungen der Flucht nach Ägypten. Den Lebensablauf des dann bald geborenen, von den Eltern Ribulione gerufenen Messias, der als Knabe in den Gassen des Quartiers ständig in Streitereien verwickelt war, konnte niemand im voraus absehen, aber was wissen wir denn auch vom Verlauf der Geschichte, der sich entwickelt nach irgendeinem, von keiner Logik zu entschlüsselnden Gesetz, bewegt und in seiner Richtung verändert oft im entscheidenden Moment von unwägbaren Winzigkeiten, durch einen kaum spürbaren Luftzug, durch ein zur Erde sinkendes Blatt oder durch einen von einem Auge zu einem anderen quer durch eine Versammlung gehenden Blick. Rousseau, der sich mit einem Projet de constitution pour la Corse befaßte, hat immerhin vorausgesehen, qu’un jour cette petite ile étonnera l’Europe, wenn er auch nicht wissen konnte, in welch schreckenerregender Weise sich diese Prophezeiung binnen fünfzig Jahren erfüllen sollte.

Beim Besuch der als Museum ausgestalteten Casa Bonaparte fühlt Selysses sich von weiblichen Napoleoniden bedrängt. Weit eigenartiger noch als das Divamäßige ihrer Erscheinung war ihre erst auf den zweiten Blick deutlich werdende, dann freilich umso verblüffendere Ähnlichkeit mit dem Franzosenkaiser, in dessen Geburtshaus sie als Türhüterin amtierte. Ich stieg die schwarze Marmortreppe hinauf und war nicht wenig verwundert, als mich an ihrem oberen Absatz eine weitere Dame empfing, die anscheinend gleichfalls der napoleonischen Linie entstammte. Eine recht bizarre Form des kaiserlichen Fortlebens, und vielleicht kann man mehr auch nicht erwarten, denn einer, allerdings ziemlich apokryphen Quelle zufolge sollen sämtliche vom dem Franzosenkaiser in den europäischen Ländern und Reichen bewirkten Umwälzungen auf nichts anderes zurückzuführen sein als auf dessen Farbenblindheit, je mehr das rote Blut floß auf dem Schlachtfeld, desto frischer schien ihm das grüne Gras zu sprießen. Nur seine Blindheit für farbliche Kontraste hätte den Korsen also veranlaßt und befähigt, das auf der Insel übliche blutige Treiben auf einen mundialen Maßstab auszuweiten. Dinge, die bei nüchterner Betrachtung der kaiserlichen Habenseite zugerechnet werden könnten, finden in Sebalds Korsikafragmenten keine Erwähnung.

So sehr wir das fertige Korsikabuch auch vermissen mögen, die Insel selbst wird aus den Fragmenten vielleicht direkter und vollständiger sichtbar, als das in dem abgeschlossenen Werk der Fall gewesen wäre. Vor allem erleben wir eine wahre Eruption von Landschaftsprosa und baden in den endlose Wogen der Vegetation: Immense Waldungen steigen aus der blauen Düsternis des Solenzaratals über die steilsten Hänge und bis hinan zu den lotrechten Schroffen und Klippen, auf deren Vorsprüngen, Simsen und obersten Stufen kleinere Baumgruppen standen wie Federbusche auf einem Helm. Auf den ebeneren Flächen der Paßhöhe zu bedeckt ein dichtes Kleid der verschiedenen Kräuter und Sträucher den sanften Boden, und aus all den niedrigen Pflanzen heraus streben die grauen Stämme der Larizio-Pinien, deren grüne Schirme weit, sehr weit droben zu schweben scheinen in der vollkommen klaren Luft. Durch ein Unwetter wird die Landschaft zusätzlich dramatisiert: Ein Sturmwind erhob sich und beugte die Zypressen drunten im Garten bis weit gegen die Erde und mit einem jähen Aufleuchten tauchten aus der Finsternis über dem grauen Meer und dem von der Luft durchfurchten Maquis die fantastischen, bis zu dreihundert Meter hohen Felsen der Calanches auf, die in dem flackernden, nicht einmal einen Herzschlag anhaltenden Widerschein aussahen wie überdimensionale Baumgewächse; oder aber sie liegt da in völligem Frieden als Seelandschaft: Als meine Augen sich an das sanfte Zweilicht gewöhnten, konnte ich das Schiff sehen, das aus der Mitte des Sonnenfeuers hervorgekommen war und jetzt auf den Hafen von Porto zuhielt, so langsam, das man meinte, es bewege sich nicht. Es war eine weiße Yacht mit fünf Masten, die nicht die geringste Spur auf dem reglosen Wasser hinterließ. Knapp war sie an der Grenze zum Stillstand und rückte doch so unaufhaltsam vor wie der große Zeiger der Uhr. Das Schiff fuhr, sozusagen, entlang der Linie, die das, was wir wahrnehmen können, trennt von dem, was noch keiner gesehen hat. Vielleicht eine Stunde lag das Schiff hell leuchtend in der Finsternis, als warte sein Kapitän auf die Erlaubnis, einlaufen zu dürfen in den hinter den Calanches verborgenen Hafen. Dann, als die Sterne schon über den Bergen hervortraten, drehte es ab und fuhr so langsam, wie es gekommen war, wieder davon.

Auf den Exkursionen ins Innere der Insel Korsika aber verspürte ich jedesmal, trotz der wahrhaft staunenswerten Schönheit der Ansichten, die sich mir boten, in der Herzgegend eine dumpfe, allmählich die Sinne abtötende Bedrängnis, eine Art Weltverlassenheit, die, wie ich glaube, herrührt von der in zunehmenden Maße in einen Zustand der Sprachlosigkeit mich versetzenden, überall offenbaren Gewalt der Natur. - Die Prosa hat nicht weniger Gewalt als die vom Auge erfaßte Landschaft und überträgt den Zustand der Sprachlosigkeit auf den Leser, der seinerseits verstummt. Zu vermerken ist lediglich noch, daß Selysses schon gegen zehn Uhr wieder im Hotel war. Der Verkehr rauschte noch in den Straßen, doch dann war es auf einmal ganz still, ein paar Sekunden bloß, bis, offenbar nur ein paar Straßen weiter, eine der in Korsika ja nicht selten hochgehenden Bomben mit einem kurzen trockenen Schlag explodierte. Er legte sich nieder und schlief schon bald ein, den Klang der Sirenen und Martinshörner im Ohr.

Abendmahl

Bucklige und Irre

Evisa

Far West

Fleisch und Blut

Gedankenverloren 

Ortsfest

Prozessionsspinner

Sonntag, 26. September 2010

Éire

Entsetzliche Dinge

Keltophile Leser rechnen es Sebald hoch an, daß er Austerlitz förmlich im Flug das Walisische erlernen läßt, yn yr hesg ar fin yr afon zitiert er flüssig aus dem Buch Mose. Den frommen Gutenachtgruß kosk yn koseleth in Cornwall hat Selysses freilich nicht gehört und auf den Hebriden ist er nicht gewandert. Irland wird im Achten Teil der Ringe des Saturn ganz aus englische Warte dargestellt, aber wer würde Mrs. Ashbury nicht gern zuhören, wenn sie erzählt aus ihrem Tag für Tag unschuldiger werdenden Leben.

Im einem Landsitz am Fuß der Slieve Bloom Mountains war Selysses vor einigen Jahren einmal für kurze Zeit zu Gast gewesen, nachdem er in einem kleinen dämmrigen Laden in Clarahill sich nach einer Unterkunftsmöglichkeit erkundigt und erfahren hatte: The Ashburys might put you up. Von den hohen Fenstern des großen Zimmers sah man über die Dächer der Stallungen und Remisen und über den Küchengarten hinweg auf ein schönes, vom Wind durchwogtes Stück Weideland. Weiter in der Entfernung blinkte von einer Flußkrümmung her das seitwärts dem tiefen Ufer zuströmende Wasser. Dahinter, in mancherlei Grün, waren Bäume und darüber die schwache, gegen das gleichmäßige Himmelsblau sich abhebende Linie der Berge.

Nach diesem Landschaftsausblick verliert sich das reale Irland weitgehend. Von draußen hörte ich die durch Mark und Bein gehenden Schreie der Pfaue, aber in meiner Vorstellung sah ich nicht den Hof, in dem zuoberst auf dem dort seit Jahren übereinandergetürmten Gerümpel sie ihre Sitzplätze hatten, sondern ein Schlachtfeld irgendwo in der Lombardei, über dem die Aasgeier kreisten, und ringsum vom Krieg verwüstetes Land.

Mrs. Ashbury war 1946 wenige Monate nach ihrer Heirat und nach dem plötzlich erfolgten Tod ihres Schwiegervaters, ganz gegen die Vorstellungen, die sie von ihrem künftigen Leben gehabt hatte, nach Irland gegangen, um mit ihrem Mann den ererbten und damals so gut wie unverkäuflichen Besitz zu übernehmen. Das Land war ihr bis dahin gänzlich fremd, und ihr Mann hat sich zu den irischen Verhältnissen grundsätzlich nie geäußert, obschon oder vielleicht weil er während des Bürgerkriegs entsetzliche Dinge mitangesehen haben mußte. Mehr als schemenhafte Umrisse hat das Bild von Irland, das sie sich machen konnte, nie angenommen.

Immerhin hat sie von der furchtbaren Nacht mitten im Sommer 1920 erfahren, als das etwa sechs Meilen entfernte Haus der Randolphs, die gerade mit meinen nachmaligen Schwiegereltern dinierten, in Brand gesteckt wurde. Insgesamt sollen zur Zeit des Bürgerkriegs zwei- bis dreihundert Herrenhäuser niedergebrannt worden sein. An Personen haben sich die Aufständischen, soweit ich weiß, sagte Mrs. Ashbury, nie vergriffen. Offenbar war das Niederbrennen der Häuser das wirksamste Mittel zur Ausräucherung und Vertreibung der mit der verhaßten englischen Staatsmacht, sei es zu Recht oder zu Unrecht, identifizierten Familien. Autochthone Iren sehen wir nur als huschende Schatten vor der Feuerwand der von ihnen entfachten Brände.

Nach dem Tode von Mrs. Ashburys Mann sind die Überlebenden wie Asche und Staub einer vergangenen, irreal gewordenen Zeit. Im Ruin und ausgestattet mit einer völligen Lebensuntauglichkeit führen sie eine wirklich zauberhafte Existenz. Mrs. Ashbury beschäftigt sich mit dem Sammeln von Blumensamen in Papiertüten, und in solcher Zahl hingen die weißverhüllten Stengel unter dem Bibliotheksplafond, daß sie eine Art Papierwolke bildeten, in der sie, wenn sie, auf der Bibliotheksstaffelei stehend, mit dem Aufhängen oder Abnehmen der raschelnden Samenbehälter beschäftigt war, wie eine in den Himmel auffahrende Heilige verschwand. Edmund, der Jüngste, baut seit seiner Schulentlassung an einem gut zehn Meter langen, dickbauchigen Schiff, that is not going to be launched, und die drei Schwestern Catherine, Clarissa und Christina sitzen als wie von einem bösen Bannspruch getroffene Riesenkinder auf dem Fußboden zwischen den Bergen ihres Materiallagers und verbrachten jeden Tag ein paar Stunden damit, aus Unmengen von Stoffresten vielfarbige Kissenbezüge, Bettüberwürfe und dergleichen mehr herzustellen. Ein aus Hunderten von Seidenfetzchen zusammengesetztes, mit Seidenfäden besticktes oder vielmehr spinnennetzartig überwobenes Brautkleid von einer solchen Pracht und Vollendung, daß Selysses seinen Augen so wenig traute wie heute seiner Erinnerung. Wir denken an Roza, Lusia und Lea oder vielmehr Nona, Decuma und Morta, die Töchter der Nacht, mit Spindel und Faden und Schere am Ende der Erzählung Max Aurach.

Als Mrs. Ashbury mit ihrer Geschichte zu Ende war, schien es mir, als bestünde die Bedeutung für mich in der unausgesprochenen Aufforderung, ich möge bei ihnen bleiben und ihr Tag für Tag unschuldiger werdendes Leben teilen. Daß ich es nicht getan habe – dieses Versagen zieht mir heute noch manchmal wie ein Schatten über die Seele. Die Unschuldigen, die büßen für die Schuld der Welt, es ist, als wäre uns die Passionsgeschichte in Irland auf eigenartige und märchenhafte Weise neu erzählt worden, und Selysses in dieser Geschichte ein Petrus, der nicht standhalten konnte.

Freitag, 24. September 2010

Selysses schreibt

Ungute Zeit

Mehrere Romane Thomas Bernhards erzählen davon, daß jemand im Begriff ist, eine Studie zu schreiben, sei es über das Hören (Kalkwerk), sei es über Mendelssohn-Bartholdy (Beton) oder über ein anderes Thema und davon, daß aus der Studie nichts wird und naturgemäß nichts werden kann. Mit dem Ende des Romans ist die Studie endgültig gescheitert. Ähnlich handeln Sebalds Erzählungen ganz überwiegend von einem Schreibvorhaben, das bei ihm allerdings nicht als separates, zusätzliches Werk außerhalb des Erzählvorgangs liegt. Das Ende der Erzählung fällt zusammen mit dem Abschluß des Vorhabens, das Schreibergebnis ist die Einlösung dessen, was der Dichter, wie vage zunächst auch immer, im Sinn hatte. Der Erzählablauf aber ist keineswegs immer der gleiche.

Die beiden Erzählungen der Schwindel.Gefühle, die von den alpinen Reisen des Selysses erzählen, enthalten jeweils im ersten Satz einen Hinweis auf seine Schriftstellerexistenz. All’estero: Ich war damals von England aus nach Wien gefahren in der Hoffnung durch eine Ortsveränderung über eine besonders ungute Zeit hinwegzukommen. In Wien erwies sich aber gleich nach meiner Ankunft, daß mir die von der gewohnheitsmäßigen Schreib- und Gartenarbeit nun nicht mehr ausgefüllten Tage ungemein lang wurden, und ich wußte tatsächlich nicht mehr, wohin mich wenden. Ritorno in patria: Nachdem ich die ausgehenden Sommermonate mit meinen verschiedenen Arbeiten beschäftigt in Verona – wir dürfen unterstellen, es handelt sich um Recherche- und Schreibarbeiten -, die Oktoberwochen aber, weil ich den Winter nicht mehr erwarten konnte, in einem weit oberhalb von Bruneck, am Ende der Vegetation gelegenen Hotel verbracht hatte, faßte ich eines Nachmittags, als der Großvenediger auf eine besonders geheimnisvolle Weise aus einer grauen Schneewolke auftauchte, den Entschluß, nach England zurückzukehren.

Wir begreifen, daß für Selysses das Schreiben unauflöslich mit dem Reisen verbunden ist, und erfahren zugleich, daß Reisen eine Flucht vor dem Schreiben sein kann, ähnlich wie Rousseau die nur kurze Frist seines Aufenthalts auf der Sankt Peterinsel im Bieler See als einen Versuch verstand, sich von den Anforderungen der Literatur als eine sich stets weiter forttreibende Zwangshandlung zu befreien. Der Fluchtversuch des Selysses ist allerdings mehr als erfolglos nicht nur, was Wien anbelangt, auch das Fiasko seines anschließenden ersten Italienaufenthalts müssen wir nicht zuletzt der Schreibenthaltung zurechnen, wie immer verlockend sie ihm auch erschienen seine mochte.
Wir erleben Selysses bereits in All’estero bei den eingangs Ritorno in patria erwähnten Arbeiten in Verona während der zweiten Italienreise, umfänglich und offenbar mit Freude aber hatte er zuvor schon in Limone gearbeitet: Luciana wollte wissen, was ich jetzt gerade zu Papier bringe, worauf ich ihr wahrheitsgemäß sagte, daß ich mir darüber selbst nicht recht im klaren sei, daß ich aber in zunehmenden Maße das Gefühl habe, es handle sich um einen Kriminalroman. Die Geschichte spiele jedenfalls in Oberitalien, in Venedig, Verona und Riva, und es ginge in ihr um eine Reihe unaufgeklärter Verbrechen und um das Wiederauftauchen einer seit langem verschollenen Person. Luciana fragte mich, ob Limone auch in der Geschichte vorkomme, und ich sagte, nicht nur Limone käme vor in der Geschichte, sondern auch das Hotel und sogar sie selber. – Wahrheitsgemäß, wie hervorgehoben ist, klärt sich erst bei der Niederschrift der Schwindel.Gefühle, worum es eigentlich geht, sein Erstehungsverlauf ist in den Roman eingefügt. Auch was seinen zentralen Gegenstand anbelangt, gibt es nur Vermutungen, ein Kriminalfall, ein unaufgeklärtes Verbrechen das Wiederauftauchen einer seit langem verschollenen Person. Es kann sich bei dieser Person nur um den Jäger Gracchus handeln, dessen Gestalt die drei Italienreisenden Stendhal, Selysses und Kafka auf geheimnisvolle Weise zusammenhält, und um die Aufklärung des Verbrechens, das seinen Todeskahn sein Ziel verfehlen ließ. - Die Versicherung, wahrheitsgemäß zu sein, beschränkt sich allerdings auf den Umstand des Nichtwissens, alles andere ist ein zwar, wie es heißt, zunehmendes, gleichwohl aber unzuverlässiges Gefühl.

Der Ausgangspunkt der Ringe des Saturn ist mehr oder weniger die gleiche: Im August 1992 machte ich mich auf eine Fußreise durch die ostenglische Grafschaft Suffolk in der Hoffnung, der nach dem Abschluß einer größeren Arbeit in mir sich ausbreitenden Leere entkommen zu können. Diese Hoffnung erfüllte sich auch bis zu einem gewissen Grad, denn selten habe ich mich so ungebunden gefühlt wie damals bei dem stunden- und tagelangen Dahinwandern. In der nachfolgenden Zeit aber beschäftigte mich sowohl die Erinnerung an die schöne Freizügigkeit als auch die an das lähmende Grauen, das mich verschiedentlich überfallen hatte angesichts der selbst in dieser entlegenen Gegend bis weit in die Vergangenheit zurückgehenden Spuren der Zerstörung. Vielleicht war es darum auf den Tag genau ein Jahr nach dem Beginn meiner Reise, daß ich, in einem Zustand nahezu gänzlicher Unbeweglichkeit in das Spital eingeliefert wurde, wo ich dann, in Gedanken zumindest, begonnen habe mit der Niederschrift der nachstehenden Seiten. - Post scriptum omnis poeta tristis, mehr oder weniger die gleiche Ausgangssituation, aber doch ein wenig anders als die besonders ungute Zeit, der Selysses in den Schwindel.Gefühlen durch Flucht nach Wien hatte entkommen wollen. Das Leid ist weniger tief, die Heilung gelingt, aber ein neues, gleichsam iatrogenes Leiden verlangt nach neuem Schreiben als Medizin. In den Ringen des Saturn treffen wir auf keine Luciana Michelotti, die Selysses, vor unseren Augen, in seine Gedanken und die verborgenen Fäden seiner Niederschrift einweiht. Unseren Überlegungen und Vermutungen sind insofern keine Grenzen gesteckt.

In den Ausgewanderten ist, anders als in den Schwindel.Gefühlen und den Ringen des Saturn der Erzählgegenstand klar, es ist jeweils die Lebensgeschichte des Titelhelden. In Paul Bereyter und Ambros Adelwarth wird dieses Vorhaben planmäßig nach dem Tode des Titelhelden angegangen, in Dr. Henry Selwyn und Max Aurach tauchen die Protagonisten erst auf, während erzählt wird, wie der junge Selysses sich in seiner neuen englischen Heimat einrichtet. Der Bericht über die Entstehung der Erzählung und Ablauf des Erzählten sind bis zur Ununterscheidbarkeit ineinander verwoben. Max Aurach ist die einzige Erzählung, in der Selysses erwägt, seine Aufzeichnungen dem Titelhelden selbst noch zur Prüfung vorzulegen, aber dazu kommt es dann doch nicht: Über die Wintermonate arbeitete ich in der wenigen mir zur Verfügung stehenden Zeit an der im Vorhergehenden erzählten Geschichte Max Aurachs. Es war ein äußerst mühevolles, oft stunden- und tagelang nicht vom Fleck kommendes und nicht selten rückläufiges Unternehmen. Hunderte von Seiten habe ich bedeckt mit meinem Bleistift- und Kugelschreibergekritzel. Weitaus das meiste davon war durchgestrichen, verworfen oder bis zur Unleserlichkeit mit Zusätzen überschmiert. Selbst das, was ich schließlich als die endgültige Fassung retten konnte, erschien mir als ein mißratenes Stückwerk. Ich zögerte also, Aurach meine verkürzte Version seines Lebens zu übersenden, und indem ich noch zögerte, kam aus Manchester die Nachricht, daß Aurach mit einem Lungenemphysem in das Withington Hospital eingeliefert worden sei.

Auch das Buch Austerlitz ist nach dem Namen des Protagonisten benannt, und auch hier ist der Protagonist noch unter den Lebenden: In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bin ich, teilweise zu Studienzwecken, teilweise aus anderen, mir selbst nicht recht erfindlichen Gründen, von England aus wiederholt nach Belgien gefahren; zu Studienzwecken, das klingt nach Bernhard, welche Studienzwecke es waren, bleibt aber im Dunklen, und die anderen, unerfindlichen Gründe lassen auch eine Besessenheit von der Studie wie bei Bernhard nicht aufkommen. Schreibend erleben wir Selysses in Austerlitz nicht ernstlich. In gewissem Sinne ist es ein Buch des gesprochenen, nicht verschrifteten Wortes: Der Prediger Emyr Elias saß, wie es seine unabänderliche Gewohnheit war in seinem Studierzimmer und dachte sich seine am nächsten Sonntag zu haltende Predigt aus. Völlig niedergeschlagen kam er jeweils am Abend aus seiner Kammer hervor, nur um am folgenden Morgen wieder in ihr zu verschwinden. Am Sonntag führte er der versammelten Gemeinde mit erschütternder Wortgewalt das allen bevorstehende Strafgericht, die Farben des Fegefeuers und die Qualen der Verdammnis vor Augen, so daß nicht wenige am Ende des Gottesdienstes mit einem kalkweißen Gesicht nach Hause gingen. Er, der Prediger, hingegen, war den restlichen Sonntag in verhältnismäßig aufgeräumter Stimmung. Der Stiefsohn des Predigers, Dafydd Elias, dann Jacques Austerlitz, nutzt jedes Zusammentreffen mit Selysses überfallartig zur Fortsetzung seiner Lebensgeschichte im mündlichen Vortrag. Dabei sei das Lesen und Schreiben immer seine liebste Beschäftigung gewesen. Wie behütet habe ich mich nicht gefühlt, wenn ich in meinem nachtdunklen Haus am Schreibtisch saß und nur zusehen mußte, wie die Spitze des Bleistifts im Schein der Lampe sozusagen von selbst und in vollkommener Treue ihrem Schattenbild folgte, das gleichmäßig von links nach rechts und Zeile für Zeile über den linierten Bogen glitt. Jetzt aber war mir das Schreiben so schwer geworden, daß ich oft einen ganzen Tag brauchte für einen einzigen Satz, und kaum daß ich einen solchen mit äußerster Anstrengung ausgesonnenen Satz niedergeschrieben hatte, zeigte sich die peinliche Unwahrheit meiner Konstruktionen und die Unangemessenheit sämtlicher von mir verwendeten Wörter.

Wir müssen uns fragen, wer überhaupt verantwortlich ist für die Niederschrift des Austerlitz. Die Logik verweist auf Selysses, den Icherzähler. Insgeheim wissen wir natürlich, daß der dem Selysses in vielen Belangen ähnliche große Dichter


alles aufgeschrieben hat.


Donnerstag, 23. September 2010

Liest Rousseau

Anläßlich eines Besuchs

Kaum etwas ist so unwandelbar wie die Bosheit, mit der die Literaten hinterrücks übereinander reden.

Sebald hatte unzweifelhaft eine polemische Ader und auch eine polemische Begabung, die aber zurücksteht hinter seiner Begabung zur Liebe und Verehrung. Seine zuneigenden Aufsätze über Berufskollegen sind schöner als die angreifenden, einen besonders bedeutsamen Schritt aber macht immer dann er, wenn er sich selbst zurückzieht und das Lesen und Schreiben seinem fiktionalisierten Alter Ego Selysses überläßt und dabei eine Zeit im Leben des jeweils Beobachteten mit einer Zeit im Leben des Selysses mischt. Die Liebe, sei es zu Kafka, sei es zu Stendhal, verfließt dann nicht selten mit einem sanften Spott, mit dem sie der Schwächen ihres jeweiligen Objekts Herr wird. Die Frage der Zuneigung und des Grades der Zuneigung verliert dabei aber auch viel von ihrer Bedeutung. Im Band Logis in einem Landhaus ist der Rousseau betreffende Teil in dieser Weise gestaltet.

Rousseau und Selysses treffen sich mit mehr als zweihundert Jahren Abstand, auf der Sankt Petersinsel im Bieler See. Die Erzählung ist zunächst auf die Erlebnisse des Selysses eingestellt, schaut kurz hinüber zu Rousseau, zurück zu Selysses und so fort, bis sie dann fest bei Rousseau verweilt.


Selysses liest von den Werken Rousseaus vor allem die Confessions und die Rêveries du promeneur solitaire, daneben auch, angesichts seines aufkeimenden Interesses für die Insel, das Projet de constitution pour la Corse, geschrieben aber hat Rousseau noch weitaus mehr. Tausenden und Abertausende von Seiten hatte er in seinem fünften Lebensjahrzehnt zwischen 1751 und 1761 zu Papier gebracht und nebenher stets auch die umfangreichste Korrespondenz aufrechterhalten. Überblickt man das Ausmaß und die Verzeigtheit dieser Produktion, so kann man nur annehmen, daß er unausgesetzt über den Schreibtisch gebeugt gewesen sein muß, um die in ihm aufquellenden Gedanken und Gefühle und endlosen Buchstaben- und Zeilenreihen festzuhalten. Als er im Herbst 1765 auf die St. Peterinsel flüchtete, befand er sich bereits am Rand völliger geistiger und körperlicher Erschöpfung.

Damit sind wir am zentralen Punkt des Rousseaukapitels, dem lebenszerstörenden Denk- und Schreibzwang, dem Literaten häufig ausgesetzt sind. Eine ganze Bruderschaft bildet sich in Sebalds Werk anhand dieses Erkennungsmerkmals. Selysses selbst zählt sich in Maßen dazu, ferner Casanova: Ich sah den altgewordenen Roué, umgeben von den goldgeprägten Rängen der mehr als vierzigtausend Bänden umfassenden Bibliothek ganz für sich allein über einen Schreibsekretär gebeugt an einem trostlosen Novembernachmittag. Die Puderperücke hatte er beiseite gelegt und sein eigenes schütteres Haar schwebte, als Zeichen gewissermaßen der Auflösung seiner Körperlichkeit, wie ein kleines Wölkchen über seinem Haupt. Die linke Schulter ein wenig hochgezogen, schrieb er ununterbrochen fort. Nicht vergessen werden darf, neben anderen, die noch zu nennen wären, der Prediger Emyr Elias, der zwar; wie ausdrücklich vermerkt wird, nicht schreibt, sondern sich die Predigten nur in seinem Kopf erarbeitet, indem er sich damit peinigte, wenigstens vier Tage lang. Er saß, wie es seine unabänderliche Gewohnheit war, den Tag über in seinem Studierzimmer. Völlig niedergeschlagen kam er jeweils am Abend aus seiner Kammer hervor, nur um am folgenden Morgen wieder in ihr zu verschwinden. Am Sonntag führte er der versammelten Gemeinde mit erschütternder Wortgewalt das allen bevorstehende Strafgericht, die Farben des Fegefeuers und die Qualen der Verdammnis vor Augen, so daß nicht wenige am Ende des Gottesdienstes mit einem kalkweißen Gesicht nach Hause gingen. Er, der Prediger, hingegen, war den restlichen Sonntag in verhältnismäßig aufgeräumter Stimmung. Der Prediger Elias ist mit seinen dunklen und seinen hellen Seiten nicht ohne Sympathie geschildert und es bleibt auch durchaus offen, ob es der Gemeinde zum Schaden gereicht, wenn sie das Bethaus mit kalkbleichem Gesicht verläßt. Weniger Verständnis findet der Schweizer Kalvinismus in seiner Früh- und Blütezeit vor Ort und schon gar nicht, daß Voltaire sich im Stil eines eifernden Pastors geriert, als gehöre er dazu. In Wirklichkeit konnte er es wohl nicht verwinden, daß sein eigener Ruhm verblaßte neben dem Glanz des neu am literarischen Himmel aufgegangenen Sterns. Kaum etwas ist so unwandelbar wie die Bosheit, mit der die Literaten hinterrücks übereinander reden.

Auf der Sankt Peterinsel hofft Rousseau nicht nur, Frieden zu finden, sondern findet ihn nach dem eigenen Empfinden auch für die wenigen Wochen, die er hier verweilen darf. Er erfüllt pflichtgemäß das literarische Inbild der Ruhe und des Friedens, indem er an schönen Tagen weit in den stillen See hinausruderte. Da streckte ich mich dann in dem Kahne aus, schaute zum Himmel hinauf, ließ mich gehen und langsam vom Wasser abtreiben, oft mehrere Stunden lang. Ähnlich handeln und empfinden die Dichterkollegen Kafka: Er rudert an den Nachmittagen ein Stück weit auf den See hinaus. Die Felswände erheben sich aus dem Wasser in das schöne Herbstlicht, so halb und halb grün, als wäre die ganze Gegend ein Album und die Berge wären von einem feinsinnigen Dilettanten der Besitzerin des Albums aufs leere Blatt hingezeichnet worden, zur Erinnerung; und Grillparzer: Gegen Abend ließen wir uns auf einer Barke im Golf spazieren fahren, und ich ließ mit Wonne die Wellen um meine hineingestreckte Hand spielen; und Stendhal: Der drückenden Hitze wegen habe er die Abende draußen auf einer Barke verbracht und im Einbruch der Dunkelheit die seltensten Abstufungen der Farben gesehen und die unvergeßlichsten Stunden der Stille erlebt; und auch Selysses selbst: Auf der Abendseite versank alles bereits in den wie dunkle Fahnen über die steilen Felswände des Dosso dei Róveri herabwallenden Schatten, und auch am jenseitigen Ufer stieg der Abendglanz immer höher hinauf, bis bald nur mehr ein schwacher, rosa lodernder Schein über dem Gipfel des Monte Altissimo zu sehen war.

Die Arbeit des Schreibens riß für Rousseau auch auf der Insel nicht völlig ab, er erlebt die alles in allem nur kurze Frist seines Aufenthalts aber doch als einen Versuch, sich von den Anforderungen der Literatur zu befreien zu verstehen als eine sich stets weiter forttreibende Zwangshandlung. Von ganz anderer Art scheint ihm die Beschäftigung des Botanisierens zu sein. Kein Halmfäserchen, nicht ein Pflanzenatom solle sich seiner Beschreibung entziehen. Das klingt einerseits an an Pisanello, wenn Selysses seinen Werken abliest, er habe jedem einzelnen Blatt dieselbe, durch nichts geschmälerte Daseinsberechtigung zugesprochen, andererseits aber auch wie eine Übertragung des zwanghaften Handlungscharakters auf das andere, den Pflanzen zugewandte Betätigungsfeld. Nabokow, wenn er, ähnlich beschäftigt, mit seinem Schmetterlingsnetz durch die Ringe des Saturn geistert, wirkt entspannter, allerdings erfahren wir auch nur wenig von ihm und was in ihm vorgeht; immer in einer abgeklärten Stimmung ist der Großonkel Alphonso, der die Linie der naturkundigen Fitzpatricks fortführte, sich die meiste Zeit im Freien aufhielt und sogar bei schlechtestem Wetter weitschweifige Exkursionen machte.

Der Stimmungslage seiner Zeit entsprechend nähert sich Rousseau vom Botanisieren aus auch der Frage der Kristallisation. Selysses, der sich mit diesen Fragen auch schon mehrfach befaßt hat, überläßt hier Jean Starobinski die Deutung, wenn dieser feststellt , beim Kristall wisse man nicht, ob er ein Körper im Reinzustand ist oder im Gegenteil eine erstarrte Seele. Diese Konjektur von der Metamorphose der Leiber in eine pure, sozusagen der Vergänglichkeit entronnene Substanz, verkehrt sich für Rousseau in der letzten Phase seines Denkens in eine das Licht abtötende Pulverisierung, welche die menschliche Welt auf eine dunkle, unterschiedslose und undurchdringliche Masse reduziert. Offenbar hatte er sich eingelassen auf ein risikoreiches Spiel im Feld des extremen Kontrasten von schwarzem Todes und weißer Ewigkeit und mit einer falschen Bewegung alles vertan.


Ein Dutzend von Angst und Panik erfüllte Jahre stehen Rousseau noch bevor, als er am 25. Oktober die Sankt Peterinsel verläßt. Offene Paranoia bricht aus. Man muß sich vor Augen halten, daß in dieser Zeit die Marter des Denkens und Schreibens obendrein noch in einem gänzlich ungeschützten Raum stattfand. Nicht genehme Buchstaben- und Zeilenreihen konnten die übelsten Folgen haben. Aus Buchstaben- und Zeilenreihen der Art, wie sie Rousseau, unausgesetzt über den Schreibtisch gebeugt, zu Papier gebracht hat, ist der Meinungsfreiheit genannte, wie immer auch zuverlässige oder unzuverlässige Schutzraum erst hervorgegangen.

Montag, 20. September 2010

Cambria

Hen Gymru fynyddig, paradwys y bardd


Wer sich auf Sebalds Prosateppichen bewegt, schaut, was eingewebt ist oder sein könnte. In Austerlitz soll die Textur in großem Umfang von der Geschichte der Susi Bechhöfer bestimmt sein, außer einigen groben Richtungsweisern für den Handlungsablauf ist aber nichts zu erkennen. Daneben ist, was den in Wales spielenden Teil des Geschehens anbelangt, Chatwins On the Black Hill im Gespräch. Chatwins unruhige und lebhafte, vor jedem neuen Satz die Fühler in die verschiedensten Richtungen ausstreckende Prosa ist so verschieden von Sebalds fließenden, legierenden, die Themen einbindenden Sätzen, daß ein Wiedererkennen schwerfällt. Ähnlich wie der Prediger Emyr Elias bei Sebald ziehen auch Chatwins Waliser das Alte Testament dem Neuen vor, in der Hauptsache aber, weil es reichlich Geschichten von Schafen enthält und so ihrer Erlebniswelt nahe steht. Chatwins Buch setzt ein unter einem Engraving of Holman Hunt’s Light of the World, Prediger verschiedener Stilrichtungen ziehen vorbei, allerdings keiner, der dem Prediger Elias ohne Einschränkungen ähnlich wäre.

Eher noch ähnelt Emyr Elias dem Amos Jones in Chatwins Buch, Farmer und Vater der Zwillinge Lewis und Benjamin. Die Härte des walisischen Farmerlebens, das bei Chatwin auch gute Menschen nahezu veröden läßt, ist bei Sebald eingetauscht gegen die Härte der calvinistischen Gotteswelt mit noch durchgreifender Wirkung. Der Prediger Emyr Elias saß, wie es seine unabänderliche Gewohnheit war in seinem Studierzimmer und dachte sich seine am nächsten Sonntag zu haltende Predigt aus. Völlig niedergeschlagen kam er jeweils am Abend aus seiner Kammer hervor, nur um am folgenden Morgen wieder in ihr zu verschwinden. Ohne weiteres erkennt Selysses in ihm wohl den Confrère und verwandten Textarbeiter. Am Sonntag führte er der versammelten Gemeinde mit erschütternder Wortgewalt das allen bevorstehende Strafgericht, die Farben des Fegefeuers und die Qualen der Verdammnis vor Augen – Selysses seinerseits hatte schon als Kind in seiner Allgäuer Heimat in der Bibliothek der Tante Mathild die zahlreichen religiösen Werke spekulativen Charakters studiert, Gebetsbücher aus dem 17. und dem frühen 18. Jahrhundert mit zum Teil drastischen Abschilderungen der uns alle erwartenden Pein -, so daß nicht wenige am Ende des Gottesdienstes mit einem kalkweißen Gesicht nach Hause gingen. Er, der Prediger, hingegen, war den restlichen Sonntag in verhältnismäßig aufgeräumter Stimmung.

Die hellen, sich auf die Sonntagnachmittage beschränkenden, und die dunklen Seiten des Predigers Elias hatten ihre Entsprechung in der gebirgigen Landschaft um uns herum. Wie wir einmal durch das endlose Tanat-Tal hinauffuhren, rechts und links nichts als krummes Holz, Farne, und rostfarbenes Holz, und dann, das letzte Stück zu dem Joch hinauf, nur noch graues Felsengestein und treibende Nebel, so daß ich fürchtete, wir näherten uns dem äußersten Rand der Welt. Wo aber eben noch nichts als eine bodenlose Düsternis gewesen war, von dort leuchtete nun, umgeben von schwarzen Schatten ringsum, eine kleine Ortschaft herauf, grün funkelnd gleich einer Insel der Seligen. Am Abend dann, von unserem Zimmer aus, konnte man einen Förderturm sehen mit einem riesigen Rad, das sich manchmal so und manchmal andersherum drehte in dem dichter werdenden Dunkel, und weiter talabwärts sah man in regelmäßigen Abständen von jeweils drei oder vier Minuten hohe Feuer- und Funkengarben aus den Schmelzöfen eines Hüttenwerks stieben bis hoch in den Himmel hinauf.


Die dunklen Seiten überwiegen freilich nicht nur nach der Zahl der Wochentage, und das Helle schlägt um in Schnee- und Eiseskälte. Es war, als würden sie von der Kälte in ihrem Herzen langsam umgebracht. Das Predigerhaus wird mit einem billigem Talkum aus einer großen Streudose eingeweißt. Den Balasee bedeckte eine dicke Schicht Eis, und auf die Frage: What it is that so darkended our world, gibt es keine Antwort. Der schwarze Tod und die weißen Ewigkeit, verschiedentlich kehrt er wieder, dieser extreme Kontrast, beispielsweise in dem schachbrettartigen Bodenmuster des belgischen Billardbildes aus Tongeren, das nicht von ungefähr den Gedanken nahelegt, daß wir in dem jeweils vorgegebenen Rahmen auf ein risikoreiches Spiel uns einlassen, in dem mit einer falschen Bewegung alles vertan ist.

Ein ganz anderes Gepräge als die Fahrt von Y Bala aus durch das Tanat-Tal hat die später stattfindende von Croesoswallt nach Abermaw. Die Helligkeit ist hier nicht die des Eises, sondern die einer wärmenden Sonne. Wenn wir mit der kleinen Dampfbahn von Wrecsam das Tal des Afon Dyfrdwy hinauffuhren, merkte ich, wie mir das Herz aufzugehen begann, Schleife um Schleife folgte unser Zug den Windungen des Flußlaufs, durch das offene Waggonfenster schauten die grünen Wiesen herein, die steingrauen und die geweißelten Häuser, die glänzenden Schieferdächer, die silbrig wogenden Weiden, die dunkleren Erlengehölze, die dahinter aufsteigenden Schafweiden und die höheren, manchmal ganz blauen Berge und der Himmel darüber mit dem immer von Westen nach Osten ziehenden Wolken. Die Berge wurden nun höher und schoben sich näher und näher an die Geleise heran, bis hinab nach Dolgellau, wo sie wieder zurücktraten und sanftere Abhänge sich niedersenkten an die fjordartig weit landwärts reichende Mündung des Mawddach. War das Klima in der ganzen Gegend überaus mild, so lagen die Temperaturen an diesem besonders begünstigten Platz um ein paar Grad noch über dem für Abermaw geltenden Mittel. In dem vollkommen verwilderten Garten wuchsen Pflanzen und Stauden, die ich nirgends in Wales gesehen hatte zuvor, Riesenrhabarber und mehr als mannshohe neuseeländische Farne, Wasserkohl und Kamelien, Bambusdickicht und Palmen, und über eine Felswand stürzte ein Bach zu Tal, dessen weißer Staub immer das gefleckte Dämmer unter dem Blätterdach der hohen Bäume durchwehte. Doch nicht nur die in wärmeren Zonen beheimateten Gewächse gaben einem das Gefühl, man sei jetzt in einer anderen Welt – die andere Welt das ist das im Roman Andromeda Lodge genannte Paradies. Paradwys: Cymru, paradwys y bardd, Cambria, Paradies der Dichter, zwei bedeutende, Chatwin und Sebald, haben sich in unvergleichlicher Weise versucht an dem Land.

Liest Grillparzer

Protokafka

In den Schwindel.Gefühlen treffen sowohl Kafka als auch Selysses mit Grillparzer zusammen, Kafka vermittels einer Halluzination und Selysses vermittels eines von Grillparzer verfaßten Buches. Kafka mietet sich in Wien im Hotel Matschakerhof ein, aus Sympathie für Grillparzer, der dort immer zu Mittag gegessen hat. Eine pietätvolle Geste, die sich leider als unwirksam erweist. Obwohl Kafka absagt, wo er nur kann, ist er, wie es ihm scheint, fortwährend mit schrecklich vielen Leuten beisammen. Er sitzt dann als Gespenst mit am Tisch, hat arge Platzangst und glaubt sich von jedem Blick, der ihn streift, durchschaut. Neben ihm, auf Tuchfühlung gewissermaßen, Grillparzer, bereits 1872 verstorben, jetzt hundertzweiundzwanzig Jahre alt und, wen kann es wundern, nahezu restlos vergreist. Er macht ungute Faxen und legt ihm einmal sogar die Hand aufs Knie.

In einer der Bars an der Riva blätterte Selysses in Grillparzers Tagebuch einer Reise nach Italien. Er hatte es in Wien gekauft, weil es ihm unterwegs nicht selten so geht wie Grillparzer. Wie er findet er an nichts Gefallen und ist von allen Sehenswürdigkeiten maßlos enttäuscht und wäre, wie er oft meint, viel besser bei seinen Landkarten und Fahrplänen zu Hause geblieben. Grillparzer zollt selbst dem Dogenpalast nur eine sehr bedingte Hochachtung. Trotz aller Zierlichkeit der Kunst in seinen Arkaden und Zinnen habe, so schreibt er, der Dogenpalast einen unförmigen Körper und erinnere ihn an ein Krokodil. Wie er auf diesen Vergleich kommt, weiß er nicht. Geheimnisvoll, unerschütterlich und hart müsse sein, was hier beschlossen wird, meint er und nennt den Palast ein steinernes Rätsel. Die Natur dieses Rätsels ist anscheinend das Grauen, denn solang er in Venedig ist, kommt Grillparzer von dem Gefühl der Unheimlichkeit nicht mehr los. Fortwährend denkt er, der Rechtskundige, an den Palast, in dem die Gerichtsbehörden ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben und in dessen innerster Höhle, wie er sich ausdrückt, das unsichtbare Prinzip brütet. Die Verblichenen, Verfolger und Verfolgten, die Mörder und Gemordeten steigen vor ihm auf verhüllten Häuptern. Fieberschauer überfallen den armen, hypersensiblen Beamten.

Wahrscheinlich ist es gerade der Umstand, daß er in Grillparzers Buch nur geblättert hatte, der Selysses diese elegante Zusammenfassung ermöglicht hat. Es ist nicht ganz zutreffend, daß Grillparzer mit nichts zufrieden ist: Triest gewährt, sowohl vom Berge herab, an dem es liegt, als von der Seeseite betrachtet, einen außerordentlich schönen Anblick. Gegen Abend ließen wir uns auf einer Barke im Golf spazieren fahren, und ich ließ mit Wonne die Wellen um meine hineingestreckte Hand spielen. Gerade so machen es Stendhal, Kafka und Selysses auf dem Gardasee und finden so ihre besten Augenblicke. Allerdings: Der Kaffee unbeschreiblich elend. Später dann: Die Schönheit der Gegend von Ferrara ist unbeschreiblich. Man fühlt sich sehr glücklich da. Aber wieder: Das Mittagsmahl zeichnete sich durch Ungenießbarkeit vor allen bisher genommenen aus, was in der That viel sagen will.

Die Erleichterung tritt jedesmal ein, wenn man irgendwo ankommt: Endlich Laibach. Freilich: Die Stadt sieht traurig und öde aus, und daher ist die Erleichterung nicht geringer, wenn es weitergeht: Endlich die Stunde der Abreise. Endlich eingepackt, die Gondel bestiegen und verlassen die Meeresbraut mit all ihrem Schmucke. Endlich zeigte sich von ferne ein Gewässer. Endlich kündigte eine dunkel vor uns liegende Häusermasse eine Stadt an: es war Padua. Aber wir mußten vorüber. Endlich brach der Tag an. Genugtuung herrscht eigentlich nur dann, wenn es voran geht, und wenn ein Anhalten zuverlässig ausgeschlossen ist, läßt sich sogar Bedauern äußern: Wie traurig, daß wir alle diese Gegenden durchfliegen mußten, die allein eine Reise verdient hätten. Dabei ist das Reisen selbst in der Regel noch das Allerentsetzlichste: Wie unerträglich die Nacht in unserer Bootskajüte war, läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Höchstens fünf Fuß Höhe und Breite, dabei ein Teergestank zum Ersticken, und zwei Betten, oder vielmehr Hundepolster, auf denen wir zwei Nächte zubringen sollten. Da geht es bei Kafka vergleichsweise harmlos zu, wenn lediglich von der Überquerung der Adria bei leicht stürmischen Wetter die Rede ist.

Venedig macht in der Tat zunächst keinen günstigen Eindruck auf Grillparzer: Diese morastigen Lagunen, diese stinkenden Kanäle, der Schmutz und das Geschrei – und es mag sein, daß sich Selysses davon in seiner Wahrnehmung hat beeinflussen lassen: Einmal kam ein mit Bergen von Müll beladener Kahn vorbei, auf dem eine große Ratte die Bordkante entlang lief und sich kopfüber ins Wasser stürzte. Ich weiß nicht, ob es dieser Anblick gewesen ist, der mich den Entschluß fassen ließ, nicht in Venedig zu bleiben, sondern unverzüglich nach Padua weiter zu fahren.


Grillparzers Ansichten über den Dogenpalast gibt Selysses korrekt, wenn auch verfeinert und abgerundet wieder. Grillparzer fügt dann noch hinzu: Wer am Markusplatz sein Herz nicht schlagen hört, hat keins. Kafka fühlt sich zu einer ähnlichen Äußerung bemüßigt: Wie es schön ist und wie man es bei uns unterschätzt, schreibt er dann, wir wissen aber nicht, was er in Wirklichkeit alles gesehen hat. Bei ihm, Kafka, gibt es nicht einmal einen Hinweis darauf, daß er den Dogenpalast gesehen hat, dessen Bleikammern in der Entwicklung seiner Prozeß- und Strafphantasien einige Monate später einen so wichtigen Platz einnehmen sollten.

Neben den Widrigkeiten des Reisens ist es der Palast, in dem die Gerichtsbehörden ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben und in dessen innerster Höhle, wie Grillparzer sich ausdrückt, das unsichtbare Prinzip brütet, die Verblichenen, Verfolger und Verfolgten, die Mörder und Gemordeten, der die drei, Selysses, Grillparzer und Kafka, zusammenhält, auch wenn Kafka, in dem sich, so kann man vermuten, der Proceß schon regte, seinem Anblick sich gar nicht aussetzen mochte. Selysses, verkleidet als Austerlitz, erlebt den gleichen Alptraum später und an anderer Stelle ein weiteres Mal, nämlich bei der Betrachtung Justizpalast in Brüssel, der größten Anhäufung von Steinquadern in ganz Europa. In diesem mehr als siebenhunderttausend Kubikmeter umfassenden Gebäude gibt es Korridoren und Treppen, die nirgendwo hinführen, und türlose Räume und Hallen, die von nie jemand zu betreten sind, und deren ummauerte Leere das Geheimnis aller sanktionierten Macht ist.

Der arme, hypersensible Beamte und Rechtskundige: diese Kennzeichnung trifft auf Kafka nicht minder zu als auf Grillparzer, und tatsächlich hat Selysses die Passagen aus dem Tagebuch einer Reise nach Italien so arrangiert, daß Grillparzer als eine Art Protokafka dasteht. Kein Wunder, wenn Kafka ihm Sympathie entgegenbringt. Grillparzer tanzt mit im Taumel der Schwindelgefühle. Aber natürlich kommen die Hypersensiblen im Leben letztlich doch nicht gut miteinander aus, und leicht werfen sich gegenseitig ungute Faxen vor. Das Zusammenleben von Buch zu Buch ist oft einfacher als das von Mensch zu Mensch.

Amerika

An Englishman in Newark

In Ambros Adelwarth erzählt Sebald von Amerika und den Amerikanern. Es ist ganz und gar die Erzählung eines deutschen, in England ansässigen Schriftstellers und in keiner Weise die Erzählung eines englischen Schriftstellers, der sich lediglich die deutsche Sprache nicht abgewöhnt hat. Vorgetragen wird aus einer deutschen Perspektive auf Amerika.

Die für die Generation des Selysses in Deutschland übliche Form des Bekanntwerdens mit Amerika und den Amerikanern ist die Besatzungsmacht, deren allgemeine Moral von den Einheimischen, wie man ihren halb hinter vorgehaltener Hand, halb lauthals gemachten Bemerkungen entnehmen konnte, als einer Siegernation unwürdig empfunden wurde. Die Weiber gingen in Hosen herum und warfen ihre lippenstiftverschmierten Zigarettenkippen einfach auf die Straße, die Männer hatten die Füße auf dem Tisch, und wann man von den Negern halten sollte, das wußte ohnehin kein Mensch. Gerade diese abschätzigen Bemerkungen sind es gewesen, die mich damals bestärkten in meiner Sehnsucht nach dem einzigen Ausland, von dem ich überhaupt eine Ahnung hatte. Es folgte eine kurze Phase der inneren Amerikanisierung seiner Person, während der ich streckenweise zu Pferd, streckenweise in einem dunkelbraunen Oldsmobile die Vereinigten Staaten in allen Himmelsrichtungen durchquerte, und die ihren Höhepunkt erreichte zwischen dem sechzehnten und siebzehnten Lebensjahr, als ich die Geistes- und Körperhaltung eines Hemingway-Helden an mir auszubilden versuchte, ein Simulationsprojekt, das aus verschiedenen Gründen, die man sich denken kann, von vornherein zum Scheitern verurteilt war. In der Folge verflüchtigten sich diese amerikanischen Träume allmählich und machten, nachdem die Schwundstufe erreicht worden war, einer bald gegen alles Amerikanische gerichteten Abneigung Platz. – Damit ist ein ambivalentes Amerikabild umrissen, das in der Folge um einiges angereichert, in seinem Charakter aber kaum noch verändert wird.

Den allerersten Kontakt hatte Selysses schon weit früher als Kind noch bei einem an die sechzig Personen umfassenden Familienfest, das zu einem nicht geringen Teil von nach Amerika ausgewanderten Personen bestritten wurde. Von einem Berührung mit Amerika kann gleichwohl nicht die Rede sein, denn kaum etwa hinterläßt die Tante Theres einen amerikanischen Eindruck, sie, die drei Wochen nach ihrer jeweiligen Ankunft in der Heimat noch aus Wiedersehenfreude weinte, und bereits drei Wochen vor der Abreise wieder vor Trennungsschmerz. Nur wenn sie länger als sechs Wochen bleiben konnte, gab es für sie in der Mitte ihres Aufenthalts eine gewisse, meist mit Handarbeiten ausgefüllte Beruhigung.


Bei Besuchen in der Heimat mögen die Ausgewanderten nicht als Amerikaner erscheinen, in Amerika sind sie mehr als nur ein Teil des Gesamtbildes, und das Interesse des Selysses gilt vor allem ihnen. Gleich nach seiner Landung in Newark legt er erste geologisch-archäologische Schichten des amerikanischen Lebens frei: Ich bin auf dem New Jersey Turnpike nach Süden in Richtung Lakehurst gefahren. Es ging hinaus in eine ebene Gegend, in der es nichts gab als Krüppelholz, verwachsenes Heidekraut und von ihren Bewohnern verlassene, teils mit Brettern vernagelte Holzhäuser, umgeben von zerfallenen Gehegen und Hütten, in denen bis in die Nachkriegszeit hinein Millionen von Hühnern gehalten wurden, die unvorstellbare Abermillionen von Eiern legten für den Markt von New York, bis neue Methoden der Hühnerhaltung das Geschäft unrentabel machten und die Kleinhäusler samt ihrem Federvieh verschwanden.

In tiefere Schichten des Einwanderungslandes Amerika führen die Erzählungen des Onkels: Das Schiff war schon langsamer geworden. Ich spürte eine schwache Brise an meiner Stirn, und indem wir der Waterfront uns annäherten, wuchs Manhattan vor uns höher und höher aus dem jetzt von der Sonne durchdrungenen Nebeln heraus. In der Soda- und Seltzerfabrik Seckler & Margarethen nicht weit von der Auffahrt zur Brooklyn Bridge habe ich dann Kessel und Geschirre verschiedener Größe aus rostfreiem Stahl angefertigt. Dann hörte ich, sie brauchen Blechschmiede wie mich, und am nächsten Morgen bin ich schon zuoberst auf dem Turm gestanden. Ich habe in der Folge noch viel zu tun gehabt in den Gipfelregionen der Wolkenkratzer und naturgemäß durch das Herumturnen zweihundert bis dreihundert Meter über der Erde gut verdient. Und dann habe ich mir beim Schlittschuhfahren im Central Park das Handgelenk gebrochen, und das luftige Leben war aus.

In andere Bezirke des amerikanischen Lebens, in die Welt des Großen Gatsby und des Letzten Tycoons, dringt Ambros Adelwarth vor: Der Ambros war Majordomus und Butler bei den Solomons, die am Rock Point auf der äußersten Spitze von Long Island einen großen, auf drei Seiten von Wasser umgebenen Besitz hatten und zusammen mit den Seligmanns, den Loebs, den Kuhns, den Speyers und den Wormsers zu den reichsten jüdischen Bankiersfamilien von New York gehörten. Mit dem jungen Cosmo Solomon, der zweifellos zum Exzentrischen neigte, hielt Adelwarth sich viel an Plätzen wie Saratoga Springs und Palm Beach, noch mehr aber an europäischen Plätzen wie Deauville und dann auch im Orient auf, bis sie dann zum Schluß auf den nordamerikanischen Kontinent zurückkehren und den ganzen Sommer in dem berühmten Banff Spring Hotel verbrachten. Cosmo sah viele Stunden lang zum Turmfenster hinaus auf die ungeheuren ringsum sich ausdehnenden Tannenwälder und den gleichmäßig aus unvorstellbarer Höhe niedertaumelnden Schnee. Er hielt sein Taschentuch zusammengeballt in der Faust und biß wiederholt vor Verzweiflung in es hinein. Als es finster wurde draußen, legte er sich auf den Boden, zog die Beine an den Leib und verbarg das Gesicht in den Händen. – In Scott Fitzgeralds Augen waren die Reichen different, und Hemingway hatte ihm zugestimmt mit den lakonischen Worten: Yes, they have more money. Cosmo Solomon ist wohl reicher noch als der Hiob des Buches, das in der Heiligen Schrift zumeist vor dem Buch der Sprüche Salomos positioniert ist, und, obwohl ihm sichtbar nichts genommen wird, ärmer noch als dieser Ärmste der Bibel und ganz untröstlich.


Weder an den Rändern, wo die Neuankömmlinge kämpfen um ihren Einlaß zum gelobten Land, noch im kapitalistischen Zentrum trifft Selysses so recht auf die Bevölkerungsgruppe, in der wir - geschult vor allem durch die Hollywoodfilme, die erst in jüngerer Zeit eine Art ethnischen Proporz eingeführt haben – ohne viel Überlegung die eigentlichen Amerikaner gesehen haben, die Weißen Angelsächsischen Protestanten also, die Ureinwohner anstelle der Ureinwohner, und das, obwohl die Reisen an die amerikanische Ostküste und also in ihr angestammtes Reich führen. Der greise Portier des Guesthouse Ithaca, der aus dem Inneren des offenbar schon schlafenden Hauses herbeikam und so stark vornübergebeugt ging, daß er mit Sicherheit nicht imstand war, von seinem Gegenüber mehr als die Beine und den Unterleib wahrzunehmen, mag zu dieser Bevölkerungsgruppe gehören, wirft aber kein erhellendes Schlaglicht auf sie. Der Dr. Abramsky, der die Narrenburg Haus Samaria, diesen extravaganten Bretterpalast, dem Mäusevolk, den Holzbohrern, den Klopfkäfern und Totenuhren überantwortet hat, mag weiß und vielleicht auch protestantisch sein, aber eher nicht angelsächsisch. Auch die prominenten Einwandergruppen der Iren und Italiener bleiben unberücksichtigt. Ein kurzer aber schöner und unvergeßlicher Blick fällt dagegen auf die schwarze Bevölkerung des Landes: Die Überholvorgänge verliefen so langsam, daß man, während man Zoll für Zoll sich nach vorn schob oder zurückfiel, sozusagen zu einem Reisebekannten seines Spurnachbarn wurde. Beispielsweise befand ich mich einmal eine gute halbe Stunde in Begleitung einer Negerfamilie, deren Mitglieder mir durch verschiedene Zeichen und wiederholtes Herüberlächeln zu verstehen gaben, daß sie mich als eine Art Hausfreund bereits in ihr Herzgeschlossen hatten, und als sie an der Ausfahrt nach Hurleyville in einem weiten Bogen von mir sich trennten, da fühlte ich mich eine Zeitlang ziemlich allein und verlassen.

Eine schnell aufkeimende Freundschaft im unaufhaltsamen Vorwärtsdrang und abgesichert durch zwei trennende Glasscheiben, vielleicht ist das ein geeignetes Bild für das Verhältnis der Europäer zu den Amerikanern. Sebalds Amerika ist mehr als fragmentarisch und umso beeindruckender. Amerika ist anders, hier trifft sich die Neuzeit mit der Vorzeit. Noch in der Nähe des Flughafengeländes sah ich über einem dort aufgeworfenen wahren Riesengebirge aus Müll einen Jumbo wie ein Untier aus ferner Vorzeit schwerfällig in die Luft sich erheben. Er zog einen schwarzgrauen Rauchschleier hinter sich her, und einen Augenblick lang war mir, als habe er die Schwingen bewegt.


Mittwoch, 15. September 2010

Selysses liest

Si hortum in bibliotheca habes

Wollte man nach einer Metapher für Sebalds Gesamtwerk suchen, könnte man auf Stanisław Lems lebendigen Stern Solaris verfallen, lebendig in einem uns nicht bekannten oder verständlichen Sinne. Das rätselhafte Plasma würde im Fall von Sebalds Prosa aus der Menge der für die Texte ver- und in sie eingearbeiteten Bücher bestehen. Keinen Zweifel kann es geben, daß dieses Plasma lebt, wo wären uns Stendhal oder Kafka, Conrad oder Rousseau je lebendiger entgegengetreten. Auch verstellt der Blick auf die Bücherwelt nicht, wie ein ständig lauernder Verdacht es will, den auf die Welt. Wenn die Augen auftauchen aus der verborgenen Welt der Texte und sich nach außen richten, werden Eindrücke mystischer Tiefe gewonnen, die dem immer nur auf das Reale Schauenden eher verschlossen bleiben: Einmal, als wieder ein Blitz über den Himmel fuhr, blickte ich herab in den weit unter mir liegenden Garten des Hotels des Hotels und sah dort im Schutz der niederhängenden Zweige einer Trauerweide ein Entenpaar, reglos auf der von grasgrüner Grütze ganz und gar überzogenen Fläche des Wassers. Mit solch vollkommener Klarheit ist dieses Bild auf einen Sekundenbruchteil aufgetaucht aus der Dunkelheit, daß ich jetzt noch jedes einzelne Weidenblatt, die feinsten Schattierungen im Gefieder der beiden Vögel, ja sogar die Punkte der Poren der über ihre Augen gesenkte Lidhaut zu sehen vermeinte. – Den Bruchteil eines Augenblick scheint es, als sei vor dem Hintergrund all der Bücher auch die Welt lesbar geworden, aber ihr Text bleibt mehr als rätselhaft, wir können nicht hinter die über ihre Augen gesenkte Lidhaut schauen.

Den Insassen von Lems Raumstation gelingt es nicht, das Geheimnis von Solaris aufzuklären. Die kleinen Sebaldstücke mögen in ihrer Gesamtheit sich eine ähnlich mutige und hoffnungslose Aufgabe wie die Solarisforscher stellen, hier, an dieser Stelle, ist das Thema weitaus schlichter, es geht um im Werk auftretende Leser und Leseszenen.

Selysses stammt aus einem nicht lesenden Elternhaus: Vermerkt werden muß außerdem noch, daß im Aufsatz des Schranks nebst dem chinesischen Teeservice eine Reihe in Leinen gebundener dramatischer Schriften ihren Platz hatten, und zwar diejenigen Shakespeares, Schillers, Hebbels und Sudermanns. Es waren dies wohlfeile Ausgaben des Volksbühnenverbands, die der Vater, der gar nie auf den Gedanken gekommen wäre, ins Theater zu gehen, und noch viel weniger auf den, ein Theaterstück zu lesen, in einer Anwandlung von Kulturbewußtsein eines Tages einem Reisevertreter abgekauft hatte. Selysses findet das Tor zum Buch auf dem kindgerechten Weg des Betrachtens von Bilderbüchern, auch wenn es sich nicht um eigens für Kinder entworfene handelt: Ich habe mich auf einen der Gartensessel an den grünen Blechtisch gesetzt und den alten Atlas angeschaut. Da gab es ein Blatt, auf dem die größten Ströme und die höchsten Erhebungen der Erde ihrer Länge beziehungsweise ihrer Höhe nach angeordnet waren, und es gab wunderbar kolorierte Karten, sogar von den entferntesten, kaum erst entdeckten Erdteilen. Lese-, Welt und Reiselust, bestimmende Merkmale des Selysses, sind in eins erweckt. Ganz ähnlich frühe Lektüreerlebnisse hat Dafydd Elias, der jungen Austerlitz: Jeden Quadratzoll der mir gerade in ihrer Vertrautheit unheimlich erscheinenden Abbildung durchforscht. Was damals auch in mir vorgegangen sein mag, das Lager der Hebräer in dem Wüstengebirge war mir näher als das mir mit jedem Tag unbegreiflicher werdende Leben in Bala.

Für Selysses ist neben der Textlektüre die Bildlektüre eine lebenslange Leidenschaft geblieben, in der er, exerziert sowohl an trivialen Photographien und Postkarten als auch an Bildwerken der Hochkunst, eine unübertroffene Meisterschaft entwickelt hat. Den Zugang zur Textliteratur findet Selysses nicht bei den in glatter Reihe im Aufsatz des Schranks aufgestellten Shakespeare, Schiller, Hebbel und Sudermann im Elternhaus, sondern auf den verschlungenen Wegen der Bibliothek seiner Tante: In einem Regal, zu dem es mich gleich hinzog, lehnte, in sich zusammengesunken, wie es den Anschein hatte, die bald an die hundert Bände umfassende und mir in zunehmendem Maße wichtig werdende Bibliothek der Mathild. Neben Literarischem aus dem letzten Jahrhundert, neben Reiseberichten aus dem hohen Norden, neben Lehrbüchern der Geometrie und der Baustatik und einem türkischen Lexikon samt kleinem Briefsteller gab es da zahlreiche religiöse Werke spekulativen Charakters, Gebetsbücher aus dem 17. und dem frühen 18. Jahrhundert mit zum Teil drastischen Abschilderungen der uns alle erwartenden Pein.


Ähnlich wie die Ziellosigkeit des Reisens, der wir uns gebannt anschließen in den Schwindel.Gefühlen oder den Ringen des Saturn, ist offenbar auch die Ziel- und Planlosigkeit des Lesens Voraussetzung, freilich längst nicht Garantie dafür, auf Spuren wahren Lebens zu stoßen. Die Steigerung könnte bestehen im planlosen Lesen während einer ziellosen Reisen, das uns wiederum in den Schwindel.Gefühlen mehrfach vor Augen geführt wird. Keinen Augenblick zweifeln wir beim Lesen der Werke Sebalds, daß wir uns in einem Magnetfeld des Wahren befinden, an- und aussprechen aber läßt sich diese Wahrheit nicht.

In einer der Bars an der Riva blätterte ich in Grillparzers Tagebuch einer Reise nach Italien. Ich hatte es in Wien gekauft, weil es mir unterwegs nicht selten so geht wie Grillparzer. Wie er finde ich an nichts Gefallen und bin von allen Sehenswürdigkeiten maßlos enttäuscht. – Das lustlose Blättern beim plan- und lustlosen Reisen als ultimative Form der Wahrheitssuche: soweit wollen wir den spekulativen Charakter der Überlegungen nicht treiben, denn wir stoßen durchaus auch auf anderes.

Auf der Fahrt nach Mailand wird Selysses zum Teilnehmer eines bezaubernden Kammerstücks, besser noch: Abteilstücks des Lesens: Mir gegenüber saßen eine Franziskanerin von vielleicht dreißig oder fünfunddreißig Jahren und ein junges Mädchen mit einer aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke um die Schultern. Das Mädchen war in Brescia zugestiegen, die Franziskanerschwester hatte in Desenzano bereits im Zug gesessen. Die Schwester las ihr Brevier, das Mädchen, nicht minder versenkt, einen Bilderroman. Von vollendeter Schönheit waren sie beide, dachte ich mir, abwesend und anwesend zugleich, und ich bewunderte den tiefen Ernst, mit dem sie jeweils die Blätter umwendeten. Einmal blätterte die Franziskanerschwester um, dann das junge Mädchen und dann wieder die Franziskanerschwester. So ging es die ganze Zeit fort, auch nur ein einziges Mal mit der einen oder der anderen einen Blick zu wechseln. Ich versuchte mich also selber zu üben in einer ähnlichen Bescheidenheit und holte den Beredten Italiener heraus, ein praktisches Hülfsbuch der italienischen Umgangssprache.

Auf der Fahrt im Zug entlang des Rheins trifft Selysses auf die fraglos eindrücklichste Leserin im Gesamtwerk: Die junge Frau war, kaum hatte sie Platz genom­men und in ihrer Ecke sich eingerichtet, auf das tiefste versenkt in ein Buch, welches den Titel Das böhmische Meer trug und verfaßt war von einer mir unbekannten Autorin namens Mila Stern. Der Zug rollte hinein nach Bonn, wo sie, ohne daß ich noch etwas zu ihr hätte sagen können, ausgestiegen ist. Seither habe ich immer wieder und bislang vergebens versucht, wenigstens das Buch Das böhmische Meer ausfin­dig zu machen; es ist aber, obschon zweifellos für mich von der größten Wichtigkeit, in keiner Bibliographie, in keinem Katalog, es ist nirgends verzeichnet. - Kennt nicht jeder Leser diesen Traum von dem einen Buch, das, könnte man es nur ergreifen und festhalten, alle Fragen lösen und jedes Glück möglich machen würde; sind nicht die großen Buchreligionen eine Verlängerung nur und Verstetigung dieses Traums vom Lesen?

Wenn hier also die Sehnsucht nach Erleuchtung und Erlösung durch das Buch anklang, so enden die Schwindel.Gefühle auf dem gegenteiligen Ton der Verdammnis: Ich blätterte ein wenig in der Dünndruckausgabe des Tagebuchs von Samuel Pepys, die ich am Nachmittag erstanden hatte. Willkürlich las ich hier ein Stückchen und da in dem über eineinhalbtausend Seiten sich ausbreitenden Zehnjahresbericht, bis der Schlaf mich ankam und ich dieselben paar Zeilen wieder und wieder entziffern mußte, ohne sie doch verstehen zu können. Dann träumte mir. Als ein fast vergangenes Echo kehrten in diese atemlose Leere die Worte zurück – Fragmente aus dem Bericht über das große Feuer von London. Ich sah es wachsen mehr und mehr. Die Kirchen, Häuser, Holz und Mauersteine, alles brennt zugleich. Ist dies die letzte Stunde? Und andern Tags ein stiller Ascheregen – westwärts, bis über Windsorpark hinaus. – 2013 – Ende -. Selysses prognostiziert das Weltenende für das Jahr 2013, aber er hatte nur recht achtlos in einem alten Buch geblättert, und die Müdigkeit hatte ihn übermannt, allzu sehr müssen uns seine dunklen Aussichten nicht belasten.


Selysses wird uns immer wieder als berufsmäßig Lesender und Schreibender dargestellt und als solcher liest er natürlich nicht nur zum Zeitvertreib während der Reise, sondern auch an speziell für die Lektüre vorgesehenen Orten. Die Arbeit in der Bibliothek der Stadt Verona ähnelt allerdings nicht wenig dem Blättern im alten Atlas aus der Kinderzeit: Obzwar eine Notiz am Portal dem Publikum avisierte, daß die Bibliothek während der Ferialmonate geschlossen sei, stand die Eingangstür doch halb offen. So saß ich denn bald in der Nähe eines der Fenster und blätterte in den Folianten, in welche die Veroneser Zeitungen des Jahres 1913 gebunden waren. Die Ränder waren so brüchig geworden, daß man mit Vorsicht die Seiten umwenden mußte. Allerhand Stummfilmszenen begannen sich nun vor mir abzuspielen.

Anders schon geht es in der alten Pariser Nationalbibliothek zu, der Ernst und die Fragwürdigkeit des Lebens mit und von den Büchern tritt hervor, die Gefahr des Versinkens im Plasma der Texte: Unter der Woche ging ich tagtäglich in die Nationalbibliothek in der rue Richelieu, wo ich meist bis in den Abend hinein in stummer Solidarität mit den zahlreichen anderen Geistesarbeitern an meinem Platz gesessen bin und mich verloren habe in die kleingedruckten Fußnoten der Werke, die ich mir vornahm, in den Büchern, die ich in diesen Noten erwähnt fand, sowie in deren Anmerkungen und so immer weiter zurück in einer Art von ständiger Regression. Nicht selten beschäftigte mich damals die Frage, ob ich mich in dem von einem leisen Summen, Rascheln und Räuspern erfüllten Bibliothekssaal auf der Insel der Seligen oder, im Gegenteil, in einer Strafkolonie befand. – Und doch gilt es diese ambivalente Welt entschlossen zu verteidigen gegen den fatalen Angriff auf sie, den die neue Pariser Nationalbibliothek darstellt, ein in seiner ganzen äußeren Dimensionierung und inneren Konstitution menschenabweisendes und den Bedürfnissen jedes wahren Lesers von vornherein kompromißlos entgegenstehendes Gebäude. Die vier gläsernen Türme, denen man in einer an Zukunftsromane erinnernden Geste die Bezeichnungen, La tour des lois, La tour des temps, La tour des nombres und La tour des lettres gegeben hat, machen auf den, der an ihren Fassaden hinaufblickt und den größtenteils noch leeren Raum hinter den geschlossenen Lichtblenden erahnt, tatsächlich einen babylonischen Eindruck.

Intimer als in den großen Bibliotheken läßt sich das Leben mit den Büchern in den Arbeitszimmern der Schreibenden beobachten, die, ähnlich wie das Studio des Malers Aurach, einen eigenen, hier ganz der Lese- und Schreibarbeit geschuldeten Charakter annehmen: Oft, zu Ende des Tages habe ich mich mit Janine über die Weltauffassung Flauberts unterhalten in ihren Büro, in dem solche Mengen von Vorlesungsnotizen, Briefen und Schriftstücken jeder Art herumlagen, daß man meinte, mitten in einer Papierflut zu stehen. Auf dem Schreibtisch war eine richtige Papierlandschaft mit Bergen und Tälern entstanden. Auch dem Teppich war seit langem schon unter mehreren Lagen Papier verschwunden, ja das Papier hatte angefangen, vom Boden auf der es fortwährend aus halber Höhe herabsank, wieder die Wände emporzusteigen, die bis zum oberen Türrand bedeckt waren mit einzelnen, jeweils nur an einer Ecke mit einem Reißnagel befestigten, teilweise dicht übereinandergehefteten Papierbögen und Dokumenten. – Hier nun ist Solarischarakter der Bücherwelt sozusagen nach sichtbar außen gekehrt und zu verfolgen in den eigengesetzlichen, man weiß nicht recht ob bedrohlichen oder fröhlichen, allem Anschein nach jedenfalls von der menschlichen Hand und vom menschlichen Wollen unabhängigen Bewegungen des Papiers.

Si hortum in bibliotheca habes, deerit nihil – getreu dem Vorhaben, auch darüber zu berichten, was nicht geschrieben steht, stellen wir fest, daß wir Selysses kein einziges Mal lesend in seinem Heim zu Gesicht bekommen; allerdings bekommen wir ihn dort auch in keiner anderen Weise zu Gesicht, fast müssen wir annehmen, er ist heimatlos, wenn nicht wiederholt berichtet würde, er sei aufgebrochen von zuhaus zu der einen oder anderen Reise. Im Hotel Sole in Limone aber brachte Luciana ihm auch, wie er es von ihr erbeten hatte, in regelmäßigen Abständen einen Express und ein Glas Wasser. Meistens blieb sie dann eine Weile bei ihm stehen und knüpfte eine kleine Unterhaltung an, in deren Verlauf sie ihre Augen über die beschriebenen Blätter gleiten ließ. Einmal fragte sie ihn, was er jetzt gerade zu Papier bringe, worauf er ihr sagte, in zunehmenden Maße habe er das Gefühl, es handle sich um einen Kriminalroman. Nicht nur Limone käme vor in der Geschichte, sondern auch das Hotel und sogar sie selber. Daraufhin zog sie sich geschwind hinter die Theke zurück, wo sie ihre Arbeit mit der ihr eigenen zerstreuten Genauigkeit erledigte. - In ihrer stillen Heimeligkeit, nimmt man die als Tertium Comparationis, übertrifft die Szene noch die Vorstellung einer Biblioteca hortusque.

Später ist es ihm dann gewesen, als spürte er ihre Hand auf seiner Schulter, und schließlich war es ihm, als seien er und Luciana von dem Brigadiere getraut worden – wohl kaum der Traum von einem Haus mit Bibliothek mit Garten, sondern eher der ganz und gar flüchtige vom Ausscheiden aus der durchaus ambivalenten Welt des Lesens und Schreibens und der Rückkehr in die Welt der Nichtleser. Das freilich ist ein mehr noch als flüchtiger Anflug, und ähnlich wie die Berührung der Hand an der Schulter ist nicht sicher, ob er tatsächlich stattgefunden hat.