Dienstag, 8. September 2009

Sebaldos: Luftkrieg

Ein Dialog

Περεκράτης
Nun bist Du mir vorausgeeilt, Χριστιανος, und hast bereits das Buch vom Krieg in den Lüften gelesen. Selbst habe ich dieses Buch nur einmal vor etlichen Jahren vorgenommen und sehne mich nicht nach neuer Lektüre.

Χριστιανος
Ich habe das Buch relativ schnell zu Ende gelesen und fand es insgesamt fast ebenso gut wie die erzählerischen Werke des Σεβαλδος.




Περεκράτης
Ich denke, man kann beim Σεβαλδος drei Kategorien von Werken unterscheiden, die κατηγορία der Dichtungen, die κατηγορία der gelehrten Schriften und die κατηγορία der Kampfschriften, ja und als vierte κατηγορία dann noch die Werke in gebundener Sprache. Es gibt Übergänge, die gelehrten Schriften aus dem Landhaus sind auch Dichtungen oder fast, die Kampfschrift gegen den Andersch ist nicht ohne Gelehrsamkeit. Bei den Schriften in gebundener Sprache habe ich die Vermutung, daß es oft erste Bändigungen des für die Prosadichtung bestimmten Stoffe sind. Bei den Kampfschriften könnte ich mir vorstellen, daß sie Erregungen ableiten, die bei der Vorbereitung der Prosadichtung sich eingestellt haben und in diese nach den stilistischen Mustern des Σεβαλδος Zulaß nicht finden durften.

Χριστιανος
Es ist eine ähnliche Leidenschaft im Buch vom Krieg in den Lüften, auch wenn Du zu Recht schon gesagt hast, daß die Essays aggressiver sind. Die Erzählungen sind ebenfalls kraftvoll, aber mehr in ihrem Willen zur Beobachtung und Beschreibung. Was mich zum Widerspruch reizt, ist des Σεβαλδος fortwährendes Bohren, es müsse doch irgend einen Weg geben, die Geschichte des Luftkrieges ins öffentliche Bewußtsein zu heben. Dabei nennt er selbst immer wieder gute Gründe, warum man über diese apokalyptische Katastrophe nicht schreiben kann. Gleich zu Beginn sagt er, daß man nach 1945 keine Fragen gestellt habe, weil die Zerstörung als Vergeltungsakt einer höheren Instanz empfunden worden war. Später schreibt er, daß es ganz allgemein ein Recht zu schweigen gibt. Warum muß dann trotzdem gefordert werden, daß z.B. ein bestimmtes, erfolgloses Buch nicht aus dem kulturellen Gedächtnis ausgeschlossen werden soll. Es gibt ja so viele Gründe, warum ein Buch in Vergessenheit geraten kann, da muß nicht immer ein bewußter Akt angenommen werden.

Περεκράτης
Es ist nicht so sehr das Buch des Σεβαλδος selbst, das mir mißfällt, als der Umstand, daß es wie eine fette Made ist für all die Igel, die nach den Worten unseres großen Landsmannes Άρχίλοχος nur ein Großes, έν μέγα, kennen, nämlich das korrekte Wortarsenal rundum den Holocaust, und die im übrigen mit dem Dichter Σεβαλδος herzlich wenig anfangen können. Da lobe ich mir den Gelehrten, der meint, das Buch vom Austerlitz sei, auf seine Tatbestände reduziert eigentlich haarsträubend und gleichwohl ohne jeden dichterischen Makel. Ebenso lobe ich mir auch den Nabokow, der alle fortscheucht vom Gogol, die etwas anderes sehen in ihm als den Dichter.

Χριστιανος
Was ich erzählenswert fand, war die Geschichte der englischen Seite des Luftkrieges. Hier hat Σεβαλδος ja, teilweise aus der unmittelbaren örtlichen Nähe seines Wohnsitzes zu alten Flugplätzen, einiges an Details herausgefunden und mit seiner zentralen These verbunden, daß die mit großem finanziellen Aufwand aufgebaute Vernichtungsmaschinerie nicht mehr zu stoppen war, nachdem es sie nun einmal gab. Aus anderen Quellen weiß ich, daß die Planer des Zweiten Weltkrieges, die ja alle Erfahrungen im Ersten Weltkrieg gesammelt hatten, den Horror der endlosen Materialschlachten fürchteten, bei denen nach monatelangem Kampf oft nur wenige Meter Bodengewinn zu verzeichnen waren. Dieses Patt wollte man offenbar durch Einbeziehung von zivilen Zielen hinter der Front aufbrechen. Außerdem weiß man aus Churchills Memoiren, daß nach 1941 von russischer Seite ein starker Druck auf England ausgeübt wurde, eine zweite Front im Westen zu eröffnen. Nun ist aber natürlich die Geschichte der englischen Seite in den Jahren nach 1945 den Deutschen überhaupt nicht bekannt gewesen. Dieser Teil des Dramas konnte von ihnen also gar nicht ausgewertet werden.

Περεκράτης
Auf die Aktivitäten in Αγγλία kommt der Σεβαλδος an verschiedenen Stellen seines Werkes zu sprechen, wenn ich mich recht entsinne in den Ringen des Saturn sowohl als auch im Austerlitz.

Χριστιανος
Mein zentraler Einwand geht allerdings in eine andere Richtung. Wenn ich es richtig sehe, hat sich Sebald niemals an eine Erzählung gewagt, die in der jüngeren Vergangenheit spielte. Es ist sicherlich für ihn typisch, daß er seine erste Erzählung in die Zeit von Napoleon verlegt, und selbst wenn er sich an seine Kindheit erinnert und davon berichtet, dann ist auch dies meist 40 Jahre und länger her. Nicht anders hat es Tolstoi gemacht, der Krieg und Frieden ja auch mit einem Abstand von etwa 50 Jahren geschrieben hat. Möglicherweise geht es auch gar nicht anders, denn die Geschichte des gestrigen Tages kann kaum jemand schreiben, so hat es Kundera, glaube ich, einmal gesagt. Σεβαλδος verlangt von seinen Kollegen also etwas, was er selbst nie geleistet hat, was vielleicht auch gar nicht zu leisten ist. Diese Unmöglichkeit kann noch einen weiteren Grund haben. Eine Erzählung soll ja einen roten Faden in die eigene Erlebniswelt der Zuhörer bringen, einen Faden, den die Zuhörer selbst nicht finden können. Aber dazu muß es eine Erlebniswelt sein, die sich auf einen solchen Faden aufreihen läßt. Das kann man aber gerade etwa von der Brandkatastrophe in Hamburg nicht mehr sagen. Hier gibt es keine Geschichte mehr, es gibt eine Art schwarzes Loch, welches Geschichte aufsaugt.
An einer Stelle gibt er die Beschreibung des Brandes von Moskau wieder. Das ist immer noch ein Panorama, durch das man fast gefahrlos hindurchgehen und die einzelnen brennenden Gebäude betrachten kann. Dagegen ist Hamburg ein systematisch von den Alliierten gelegtes Inferno, durch das die Feuerwalzen mit D-Zug-Geschwindigkeit rasen. Ich habe übrigens in diesem Buch zum ersten Mal gelesen, wie man ein solches Inferno ingenieurmäßig erzeugt und bin erschrocken. Am Ende wird deutlich, daß die angewendete Technik bereits zu Beginn des Krieges auch den Deutschen bekannt war und bei Hitler am Mittagstisch diskutiert wurde.
Alles in allem - ich finde das Inferno nicht mehr beschreibbar und verzeihe deshalb den Leuten, die von Sebald dafür angeklagt werden, daß sie geschwiegen oder nur in nicht angemessener Weise geredet haben.

Περεκράτης
Ganz kann ich Dir nicht beipflichten, die Erzählung All’estero ist überwiegend eine Gegenwartserzählung, Ritorno in patria zu nicht geringem Teil auch, auch die späteren Bücher des Σεβαλδος haben immer eine in der Gegenwart angesiedelte Rahmengeschichte, aber natürlich hast Du recht, der Blick ist immer in die Vergangenheit gerichtet, voraus liegt nur das Jahr 2013, und Ende. Tolstoi allerdings hat direkt nach Krieg und Frieden die Anna Karenina geschrieben. Von der Brandkatastrophe in Hamburg hat der Nossack geschrieben, Σεβαλδος erwähnt diese Werk wohl auch, ein Werk, von dessen Lektüre ich Dir, ohne sie ausdrücklich zuzuraten, nicht abrate.

Χριστιανος
Was mich persönlich bewegt hat, ist die Aussage des Σεβαλδος, daß er in gewisser Weise vom Krieg abstammt. Ich kann das, auch wenn ich erst 1949 geboren wurde, genauso von mir selbst sagen. Den Blick durch ausgebrannte Fassaden in den offenen Himmel konnte man auch zu Beginn der 50er Jahre noch an vielen Stellen von Remscheid haben. Auch für mich gehörte zu einer richtigen Stadt, daß man dort zerstörte Gebäude sehen konnte. Nicht weit von unserem Haus wurde Trümmerschutt gesammelt und zu einem feinen Geröll zermahlen, aus dem dann neue Steine gepreßt wurden. Ich erinnere mich genau an das Quietschen der schlecht geölten Maschinen. Das Buch hat also viele Erinnerungen in mir wachgerufen und mir sogar geholfen, mein Leben in größere Zusammenhänge einzubeziehen. Es hat außerdem den Eindruck in mir verstärkt, daß über unser Land etwas Schändliches verhängt worden ist, was wir nicht verdient hatten oder was zumindest in der ganzen Grausamkeit ebenso unangemessen und verbrecherisch war wie das, was diese Reaktion hervorgerufen hat.
Über allem ist mir, ob er es will oder nicht, der gute Σεβαλδος weiter lieb geworden.

Περεκράτης
Die von mir immer wieder ins Feld geführte, dem Pisanello abgelesene Einlassung des Σεβαλδος, daß allem, den Hauptdarstellern und den Komparsen, den Vögeln am Himmel, dem grün bewegten Wald und jedem einzelnen Blatt dieselbe, durch nichts geschmälerte Daseinsberechtigung zugesprochen wird, gilt auch für den Bereich des Grauens und Entsetzens. Σεβαλδος hat nicht teilgenommen an den Anstrengungen der Feinschmecker des Grauens, entgegen aller Gewohnheit üblicher Gourmets das eine große, durch nichts zu relativierende Verbrechen herauszuschmecken, das dann alle anderen relativieren und herabmindern muß. – Ich mag aber nicht weiter hinaustreten auf dieses gründlich verminte Feld.
Ich fürchte, Dir dieses Mal kein allzu guter Gesprächspartner gewesen zu sein, Χριστιανος, und hoffe zugleich auf eine schon baldige Fortsetzung unserer Gespräche über den Σεβαλδος. Χαίρετε!

Χριστιανος
Gerade fällt mir noch ein, daß es eine Vorahnung über die Mechanismen des Luftkrieges im 1932 erschienenen Arbeiter des Ernst Jünger gibt. Er hat darin vorausgesehen, daß im Luftkrieg der Begriff des Herren und Befehlshabers vollkommen neu definiert werde. Ein Offizier im Luftkrieg ist einer, der die Maschine beherrscht, mehr nicht. Dazu muß er nicht durch die Schule der Menschen-Beherrschung gehen, muß nicht das Dienen und Kommandieren lernen, das Tanzen, Reiten, Mit-Messer-und-Gabel-Essen und Gnä-Frau-Sagen. Worüber Jünger nicht schreibt, ist der zu erwartende und dann auch tatsächlich eingetretene Widerstand der alten Herrenelite, der Infanterie- und Kavallerieoffiziere. Die verachteten die neue Piloten-Kaste, was wiederum deren Ehrgeiz anstachelte. Irgendwo las ich, daß zu den verdeckten Motiven des rastlosen Bomber-Harris auch der Kampf gegen die Zurücksetzung durch die richtigen Soldaten gehörte.
Χαίρε!

Περεκράτης
Χαίρε!



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